Gral-Zyklus 1 - Die Kinder des Gral
sich erschöpft und hielt sich, wie von einem leichten Schwi n del gepackt, an dem Tisch fest; hoffentlich, dachte ich, zerrt er das Tischtuch nicht herunter, samt Schädel und Abakus – doch keiner der Ritter sprang zur Hilfe, wie sich auch seit dem Beginn jenes Rituals keiner gerührt hatte.
»Das Wissen um das letzte Geheimnis«, fuhr die ra u nende Stimme fort, »ist zwar nicht gefährdet, wohl aber die es tragen und weiterreichen sollen. Das verpflichtet uns … Euch, unseren Schwertarm, anzurufen, der Ihr Euren Adel diesem Blut verdankt … schützt … im Geist der Liebe … rettet das Heil!«
Ich hatte weder verstanden, in wessen Namen hier g e sprochen wurde, noch, wen es zu schützen galt. Wind und Blätter hatten die Worte verschluckt. Die Templer, Gavin an der Spitze, traten jetzt dicht um die Ersche i nung; sie legten ihre Rechte auf den Schädel und senkten die Knie. Sie murmelten etwas, das mir wie ein Schwur klang. Eine elitäre, arrogante Bande, dachte ich mir als Sohn von Bauern aus Flandern, nur wer vom fränkischen Urstamm und von Geblüt ist, wird von ihr aufgenommen! Der wei ß gekleidete Geheimnisträger, ranghoher Meister einer Sekte, die anscheinend bedeutend genug war, den stolzen Tem p lern Weisungen zu erteilen, die eigentlich nur dem Papst persönlich zu gehorchen hatten, er reichte dem knienden Gavin seinen Stab zum Kuß, und die Ritter erhoben sich schweigend. Der junge Guillem von Gisors – der Name fiel mir in just diesem Moment wieder ein – erschien, gefolgt von zehn Knappen. Sie nahmen hinter den Rittern Aufste l lung, während er die weißgekleidete Gestalt behutsam wegführte.
Meine Gedanken waren in Aufruhr. Wenn es denn der ›Gral‹ war, von dem er gesprochen hatte – lapis excillis, lapis ex coelis – wir hatten uns in Paris über den Passus bei Wolfram von Eschenbach nächtelang die Köpfe heißger e det –, so kam der wohl aus der Fremde. Maria von Magd a la, die Hur – was hatte sie damit zu tun? Glaubten diese Verblendeten etwa, der Heiland habe sich soweit herabg e lassen? Ihre Leibesfrucht als ›Heiliges Blut‹ zu verehren, hieß das nicht, Maria, die Wahre und Einzige, verraten? Hat mein Jesus gefehlt? Ich mag mir sein Glied als Mann nicht vorstellen, beim Pieselhörnchen des Knäbleins hört ’ s auf! Fax et bonum! – ein Fehltritt mit dieser liederlich-listigen Frauensperson, die ihm die Füße ölend vielleicht nähergekommen war? – Aber selbst wenn Er sich in einem Lebewesen manifestiert hätte, war das schon ein Grund, davon soviel Aufhebens zu m a chen? Der Ecclesia catolica, der legitimen Erbin des Messias, eine dubiose Blutlinie entgege nz ustellen? Aus Unzucht geborenes Blut, ohne he i liges Sakrament der Ehe, diese Ehren zu erweisen?
Irgend etwas konnte in meiner anklagenden Gedanke n kette nicht stimmen: Wenn mein Herr Papst ohne Fehl war, mußte dies nicht auch für Jesum Christum, unsern Herrn, meinen wie seinen, gelten? Hat er, Er, also mit der von Magdala gevögelt – doch irgend jemandem paßte es nicht –, und zur Strafe sollen wir Mönche und Priester bis zum heutigen Tag an nichts dergleichen mehr denken, g e schweige denn es in die schöne Tat umsetzen! Wir büßen für die Sünden des Herrn – nicht umgekehrt!
Mich schauderte. Zum erstenmal verfluchte ich meine vermaledeite Neugier, die mich hierhingetrieben hatte; denn ich war ganz offensichtlich Zeuge von etwas gewo r den, das nicht für die Augen und Ohren Außenst e hender bestimmt war. Und wenn ich auch nicht alles b e griff von dem, was sich hier so mystisch abspielte, und das eine oder andere vermutlich gründlich mißverstanden hatte, war mir doch eines klar: Ich hatte an den Zipfel eines Geheimnisses gerührt, das über den Horizont eines kleinen Franziskaners hinausging. Und ich sollte wohl besser den Mund halten über das, was ich hier gesehen hatte, wenn ich nicht in gr o ße Schwierigkeiten für Leib und Seele kommen wollte.
William, sagte ich mir, dort in meinem Gebüsch kauernd, nun bist du doch wider Willen Hüter eines Gra l geheimnisses geworden. Wenig ahnte ich zu diesem Zei t punkt, daß meine Verwicklung in das große Geheimnis gerade erst begonnen hatte.
Auf der Lichtung war es still. Dem Präzeptor zur Rec h ten und zur Linken saßen die altgedienten Ritter des O r dens, und hinter jedem stand ein Jüngling mit einem Krug in der Hand. Sie schwiegen und rührten sich nicht, kein Zucken war zu vernehmen. Dann schlug der Montbard-Bethune mit seinem Stab
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