Gral-Zyklus 1 - Die Kinder des Gral
sprach er laut in den le e ren Raum hinein, gewohnt von seinem unsichtbaren Vo r gesetzten vernommen zu werden, »ich hab ’ wenig Zeit und muß heute noch von Ostia aus –«
»Wieso bist du schon zurückgekehrt?« schnarrte die g e fürchtete Stimme direkt hinter ihm. Der Graue Kardinal war durch eine Bücherwand lautlos in den Raum getreten und zeigte sein Gesicht. »Befahl ich dir nicht in den A l pen diese Bande von Sarazenen auszuräuchern?«
Rainer von Capoccio, Kardinaldiakon von Santa Maria in Cosmedin hatte Ornat angelegt, nichts hätte den Ve r dacht erwecken können, er sei mit dem ›Grauen Kardinal‹, di e sem unheimlichen Wächter über Wohl und Wehe des Patrimonium Petri, identisch. Ein hochgewachsener Mann mit prägnanten Zügen, ergraut, doch von einer Straffheit, die sein Alter, zwischen Ende Fünfzig und Anfang Siebzig wohl zu schätzen, nicht erkennen ließ.
»Das erübrigt sich nun«, brüstete sich Vitus, »weil Wi l liam von Roebruk mir zu Cortona in die Hände fiel. Er war nie bei den Mongolen –«
»Nein, bei den Saratz!« Der alte Capoccio hatte auf dem einzigen Stuhl Platz genommen, so daß Vitus wie ein N o vize vor ih m s tand. »Was trieb dich nach Cortona?« Der Kardinal war nicht gut gelaunt, eher ärgerlich da r über, sich mit Vitus ’ Eigenmächtigkeiten auseinandersetzen zu mü s sen, wo doch wichtigere Entscheidungen anstanden. »An t worte!«
Vitus war nicht sensibel genug, die Stimmung richtig einzuschätzen. »Hab ’ mal bei Elia reingeschaut – er hat einen vortrefflichen Weinkeller.«
»Du bist wohl verrückt! Gerade, wo wir in geheimen Verhandlungen seine Rückkehr in den Schoß der Kirche vorbereiten, da plünderst du –«
»Ich hab ’ William!«, trumpfte Vitus noch einmal auf, in völlig überzogener Bewertung seines Erfolges.
»Zeig ihn her!« Der alte Capoccio, dem der Kopf nach der Lösung ganz anderer, für die Kirche weitaus aktuell e rer Probleme stand, verlor die Geduld. Doch Vitus hatte immer noch nicht begriffen, daß sein Fang zur Zeit ke i nen Trumpf darstellte, geschweige denn einen Grund zum Triumphi e ren. »Besser noch! Er ist schon für mich unterwegs nach Otranto, die Gräfin und diese Kinder aus ihrer Burg zu scheuchen wie Fledermäuse, aufgeschreckt vom Licht der Sonne!« Vitus nahm seinen eigenen Eifer als Maß aller Dinge. »Deswegen muß ich auch sofort –« Endlich brach er ab.
Der alte Capoccio betrachtete den Vitus, Frucht seiner Lenden vor gut einem Menschenalter, mit Kopfschütteln. Licht der Sonne! Würde der gräßliche Kerl denn nie h i neinwachsen in die geistige Überlegenheit, die die Capo c cios auszeichnete? Fehltritte erfahren eben doch keine Ve r gebung.
»Wer garantiert dir denn«, er gab sich Mühe, wohlwo l lend zu klingen, doch der Sarkasmus tönte bald durch, »daß dieser William von Roebruk sich nun – wieder in Freiheit – nach Apulien begibt?«
»Ich hab ihm die Hölle heißgemacht«, Vitus war es leid, von dem Alten immer noch als Trottel vorgeführt zu we r den, »ihm Feuer unter dem Hintern gezündet, mit der dr o henden Ankündigung, daß wir Elia dorthin schicken –«
»Sehr witzig!« Der Kardinal kochte.
»– und hab ’ mir noch den zuverlässigen Kellermeister des Bombarone gekauft«, fuhr Vitus unbeirrt fort, »daß er ihn in Rom in unseren langsamsten Kahn setzt. So bin ich mit der Flotte weit vor ihm in Otranto und kann die Triëre abfangen!« Vitus erwartete wenigstens jetzt etwas Ane r kennung für seine strategischen Fähigkeiten.
»›Kellermeister!‹ – Du mußt dort dein Hirn versoffen haben«, knurrte der Alte. »Zwei Schiffe gebe ich dir, nicht mehr!«
Es klopfte an der Tür. Die Stimme des Bruder Pförtners meldete die Ankunft des Legaten Andreas von Longj u meau.
Jetzt begriff Vitus, weswegen der Kardinal ihn im Ornat empfangen hatte. Oh, wie er dieses überlegene Taktieren haßte! Er wollte sich verabschieden, doch der Alte hieß ihn bleiben.
Andreas trat ein, hinter ihm schleppte der Bruder einen Sessel, damit der Legat sich setzen konnte. Vitus stand noch immer.
»Hatte ich Euch nicht den Matthäus von Paris nach O s tia geschickt«, begann der Kardinal, nach Begrüßung und Bruderkuß – Vitus vorzustellen hielt er nicht für nötig –, »damit er Euch sogleich ein Schiff besorgt, das Euch u n verzüglich weiter befördert nach Lyon, zum Heiligen V a ter, der Euch sehnlichst erwartet?«
Der Legat war zu erregt, seine Geschichte loszuwerden; er machte von der
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