Gral-Zyklus 1 - Die Kinder des Gral
der tausend Füße?« Sein leichter Spott in der Sti m me machte mich, hier unten in den unheimlichen Wi n dungen des Labyrinths , erschauern. »Natürlich war es eine Rich t stätte, für Massenhinrichtungen vor allem – Volksaufstä n de, Kriegsg e fangene, für die niemand zahlen wollte –; es gehen leicht fünfhundert auf einen Schub hinein, daher ›Bad der ta u send Füße‹!« Er fand die Einrichtung wohl belustigend. »Ihr habt doch die Kette gesehen. Sie war dort natürlich nicht befestigt, sondern außen vor dem Gatter. Wenn alles vol l gepackt war, dann wurde die Schleuse dicht gemacht –«
»Und das Rohr?« fragte ich entsetzt.
»Der herausschießende Wasserstrahl zeigte denen oben an, daß das Urteil vollstreckt war – vorher spritzt es nä m lich nicht, erst wenn die letzte Luft entwichen ist.«
»Furchtbar!« sagte ich. »Die armen Seelen!«
»Deswegen ja auch die kräftigen Eisengitter – und die direkte, leicht abschüssige Verbindung zur Kloake, wenn alles vorbei ist …«
»Gräßlich! Wie können Menschen nur –«
»Ðïëë ἀ ôá äåéí ἀ êïýä ὲ í áí ϑ ñþðï õ äåéíüôåñïí çÝëåé –’ s ist kein größeres Ungeheuer als der Mensch.«
Wir betraten leise den Pavillon durch eine Schranktür, so daß Hamo, der beim Schein eines Öllichts gewacht ha t te, auffuhr. Die Kinder schliefen schon, fest, so schien es mir.
Ich war ärgerlich ob meines Unvermögens, Zugang und Abgang aus dem Pavillon zu beherrschen; ich hielt Ya r zinth zurück: »Jenes Loch in der Mauer, dieser direkte Weg aus dem Keller, der doch jeden Gefangenen zur Flucht einladen muß, soll doch auch hier irgendwo mü n den – welchen Haken hat er?«
»Viele Haken!« flüsterte Yarzinth, »er ist so angelegt, daß keiner, der ihn betreten, wieder zurück kann. Spitze, federnde Klingen sind ledergeschürzt in die engen Wä n de eingelassen. Vorwärts durchlaufen, schmiegen sie sich freundlich an, doch bei der geringsten Gegenbewegung bohren sie sich in den Körper des Flüchtlings. Nur Ratten und kurzbeinige Hunde sind i n d er Lage, unter den Kli n gen hindurchzuschlüpfen. Früher soll der Pavillon als Zwinger für Bluthunde gedient haben, denen solcherart Zugang zu den gequälten Opfern im Keller gewährt wu r de.«
»Also Grund genug für einen Eingekerkerten, zu fli e hen?«
»Wenn er nur gewußt hätte, was ihn im Pavillon erwa r tet …« Das war jetzt wieder die Dämonie des Kochs, de s sen Glatzkopf im schwachen Lichtschein glänzte; seine Augen glühten wie Kohlestückchen in tiefen Höhlen. »Morgen früh hol ’ ich dich ab, William.« Das klang wie der Teufel, wie der Henker zumindest! Yarzinth ve r schwand in der Täfelung; diesmal hatte er eine andere Tür g e wählt.
»Der Pavillon der menschlichen Irrungen ist keine Pfo r te zur Eroberung des Palastes, sondern Knotenpunkt aller Fluchtwege aus ihm hinaus«, erläuterte mir Hamo leise. »Natürlich können Eingeweihte sie auch in entgegengese t zer Richtung benutzen, doch bei der geringsten Nachlä s sigkeit schnappen die tödlichen Fallen zu.«
»Ich will nicht fliehen, Hamo«, flüsterte ich, »ich will den Kindern Hüter sein!«
»Ich würde gern fliehen, William«, vertraute er mir an, »aber ich weiß nicht wohin.«
»Mir ginge es ähnlich«, versuchte ich ihn zu trösten, während ich die Decke über mich zog.
Beim Ausdrücken des Dochts fiel mein Blick auf Yezas Gesicht. Sie zwinkerte mir zu, sie war hellwach und hatte mit Sicherheit die Ohren gespitzt. Ich drohte ihr mit dem Finger und löschte das Licht.
Venerabilis
Konstantinopel, Herbst 1247
Die lähmende, staubige Hitze eines byzantinischen So m mers war einem heiteren Herbstwetter gewichen. Wo l ken zogen vom Marmara-Meer herauf und entluden ihr lang ersehntes Naß an den Hügeln der Stadt am Bo s porus.
Der Bischof war von seiner Sommerresidenz in den Ka l listos-Palast zurückgekehrt, hatte sich vom Fortgang der Schreibarbeit der Franziskaner im Keller überzeugt, vom Wohlergehen der Kinder und natürlich von der Laune se i ner Tante Laurence. Der ungeladene Besuch der hohen Frau war wohl der ausschlaggebende Grund für Nicola de l la Porta gewesen, sich aufs Land zurückzuziehen, wen n gleich dort auch ein Gast wider Willen interniert war, der nur mit täglichem guten Zureden zu überzeugen war, daß die Mönche im Keller sich die Finger wund schrieben, um seine, Pian del Carpinis ’ ›Ystoria Mongalorum‹ schnel l stens fertigzustellen, damit
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