Gral-Zyklus 1 - Die Kinder des Gral
zu beschwichtigen. »Ich bitte Euch, Tante –«
»Nenn mich nicht Tante!« zischte sie. »Clarion! Wir re i sen sofort ab – mit den Kindern!«
»Beruhige dich!« Clarion war die Situation peinlich. Gott sei Dank hatte ein neues Rennen begonnen, und ke i ner kümmerte sich um ihren Disput.
»Ruhe?« Laurence war aufgesprungen. »Dieser Yves ist ein Mörder – ein gedungener Meuchelmörder. William hat mir vo n i hm berichtet. Der ist nur hier, um die Kinder –« Diesmal hatte ihr der Bischof so sehr in den Arm gekni f fen, daß ihr Wortschwall abbrach.
Sie verließen eiligst die Loge, riefen nach ihren Sänften und kehrten auf schnellstem Wege in den Kallistos-Palast zurück.
»Kennt die Gräfin den Zugang zum Pavillon?« fragte Nicola seinen sogleich herbeigeeilten Koch, kaum, daß Laurence Türen schlagend und gefolgt von Clarion in ihre Gemächer gerauscht war.
»Besser als Ihr und ich«, räumte Yarzinth ein. »Sie hat die Kinder schon einige Male dort besucht und Clarion desgleichen –«
»Ach ja, Hamo ist dann jedesmal geflüchtet«, amüsierte sich der Bischof kurz. »Eine anstrengende Ve r wandtschaft!« Lorenz war hinzugetreten. »Ihr hättet mir zuerst und allein Bericht erstatten sollen!« zog er sich s o fort den Tadel zu.
»So kenn ’ ich die Gräfin nicht«, verteidigte sich der Franziskaner. »In Otranto zeigte sie sich mir kühl und überlegt!«
Lorenz folgte dem Bischof und dessen Koch durch deren unterirdisches Reich, bis sie vor einer Tür stehenblieben.
»Sorgt dafür«, wandte sich der Bischof an Yarzinth, »daß der Weg ihr versperrt ist!«
»Die Fluchtmöglichkeit zum Hafen sollte offen bleiben, immer!« gab der zu bedenken, und Nicola gab ihm inne r lich recht.
»Auf jeden Fall muß unterbunden werden, daß jemand in den Pavillon eindringt und die Kinder fortbringt«, sagte er ärgerlich, »und zwar sofort!«
»Unmittelbare Gefahr besteht nicht«, erwiderte der Koch und öffnete die Tür.
Sie bestiegen ein Holztreppchen und konnten von oben durch eines der runden Oberfenster in den großen Kelle r raum hinabsehen. William stand am Schreibpult und schrieb, was ihm Benedikt, der mit hinter dem Rücken ve r schränkten Händen im Kreis herumwanderte, diktierte. Seine Stimme war deutlic h v ernehmbar. Zu Füßen des Pu l tes saßen friedlich die Kinder und hörten Benedikts Erzä h lung mit Interesse zu.
» ›… So fiel zu der Zeit, als Guyuk zum Großkhan e r wählt wurde, wir waren dabei, im Feldlager soviel Hagel in so dicken Körnern, daß beim plötzlichen Schmelzen über hundert Menschen ertranken, mehrere Jurten und andere Habe weggeschwemmt wurden -‹«
»Was ist eine ›Jurte‹?« fragte Yeza.
Benedikt unterbrach sich.
»Ein aus Zweigen geflochtenes Rundzelt, groß wie ein Haus, mit Filz bespannt«, erklärte er freundlich.
»Und was ist ›Filz‹?«
»Ein Stoff, der weich und warm ist und sogar vor Regen schützt!« Benedikt war ein vorbildlicher Lehrer. »Nac h her wühlen wir in meiner Truhe, und ich schenk dir ein Kleid aus Filz«, bot er der Fragerin an.
»Hosen!« sagte Yeza. »Hose ist mir lieber!«
»Und solche ganzen Häuser stellen sie auf ihre Wagen und fahren mit ihnen herum?« meldete sich jetzt Roç. »Die müssen ja sehr groß sein!«
»Die Wagen sind so groß wie – wie euer Pavillon«, e r klärte Benedikt, »und haben Räder, die höher sind als Wi l liam und ich aufeinandergestellt.«
»Und wer soll die ziehen?« Roç war mißtrauisch ob so l cher Dimensionen.
»Bis zu zweihundert Ochsen«, Benedikts Langmut war durch nichts zu erschüttern, »und eine einzige Frau lenkt sie!«
»Siehst du!« sagte Yeza stolz zu ihrem Gefährten. Der Bischof winkte zum Gehen, und die unbemerkten Zu s chauer zogen sich auf Zehenspitzen zurück.
»So reiste auch ich«, sinnierte Lorenz; »mit einem päp s tlichen Legationsschreiben kommt man überall herum – und umsonst!« Er zog es voller Stolz aus seiner Kutte. »Es ist zwa r d atiert auf das Jahr des Herrn 1246, aber es tut immer noch seinen Dienst!«
»Darf ich es mal sehen?« fragte der Bischof, und er reichte es nach kurzem Überfliegen weiter an seinen Koch. »Kannst du das kopieren? Gegeben von seiner Heiligkeit Innozenz IV. zu Lyon Ostern 1245 – das g e naue Datum entlocken wir Pian – und ausgestellt auf William von Roebruk …? «
»Das wäre«, murmelte Yarzinth nach eingehendem St u dium des mit Schnur und Siegel versehenen Pergaments und nachdem er sich vergewissert hatte, daß
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