Gral-Zyklus 1 - Die Kinder des Gral
Oliven und eine Ka raf fe guten, trockenen Weines auf die Vera n da unterhalb der Obser vatoriumsplattform zu scha f fen. Er selbst griff sich eine Fackel, und so stiegen sie zu dritt über Treppen und Balustraden hinauf in die Höhe des obersten Stockwerks des Kallistos-Pala-stes.
In der Tiefe unter ihnen dehnte sich das flackernde Lic h terdiadem des Hafens, dahinter das schwarze Band des Bosporus. Von Asia Minor her glommen kleine Feue r pünktchen, gerade noch den Verlauf der gegenüberliege n den Küste verratend.
An der untersten Stufe einer steil hinaufführenden let z ten Stiege stand Sigbert von Öxfeld, der hünenhafte Ko m tur der Deutschen Ordensritter und hielt Wache. Da er zur Begrüßung den Finger beschwörend vor den Mund füh r te, hielt der Bischof an sich, der lockere Scherz über den Te u tonen als ›Erzengel vom Dienst‹ lag ihm schon auf der Zunge.
So warteten sie schweigend. Sigbert griff beherzt zur Käseplatte, während Yarzinth die Pokale füllte.
Als sich die Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, erschien oben auf der Plattform die schmale Gestalt John Turnbulls. Hinter ihr zeichneten sich die Armillarsphäre, der Bogenmesser und andere Instrumente ab, die einem Astrologus unentbehrlich. Ihre corpi metallici, ihr Gestä n ge aus poliertem Messing glänzten matt im Licht der Mondsichel. Die Gestalt huschte, einer weißen Flede r maus ähnelnd, zwischen den Winkeln, Rohren und Segmenten umher. Wie ätherisch, dachte Nicola, wirkt doch der Leib eines alten Menschen, dessen Geist nicht Ruhe sucht, so n dern sich rege betätigt. Die Alten – sie gleichen großen Vögeln, deren Krächzen die Nacht erfüllt, bis sie sich Fl ü gel schlagend erheben und auf immer entschwi n den.
»Heute ist der Tag der heidnischen Venus«, endlich war Turnbull an die Brüstung getreten und richtete das Wort an die Wartenden, »morgen der Sabbat der Juden und Sonntag der Tag des Herrn, Sol invictus, Triumph des lichten Apoll, König im Himmel wie auf Erden!« Wie in Trance schritt der Alte Stufe für Stufe hinab. »Sonntag steht das leben s pendende Feuer im Aquarius, der neue Mensch im Licht der Sonne, diametral regiert Jupiter mit der Kraft des L ö wen, eine Achse siegreicher Stärke. In Konjunktion schützt der ritterliche Mars den mütterlichen Krebs, so wie der Mond sich in den Fischen zum großen Amas gesellt – das Herrscherpaar!«
Turnbull war am unteren Ende der Treppe angelangt, Sigbert machte ihm ehrerbietig Platz. Der Bischof und G a vin standen mit ihren Gläsern in der Hand und wagten nicht, sie zum Mund zu führen, als könne ein Schluck Wein den magischen Zauber des Orakels unterbrechen, das mit der Stimme des Alten zu ihnen sprach.
»Das dritte Wesen im heiligen Trigon ist der Adler. Auf seine Flügel setzt Merkur, Götterbote und göttliches Kind zugleich. Ihm zur Seite der weise Saturn in der Waage der Gerechtigkeit und des Ausgleichs, des Friedens zw i schen den Völkern und Religionen – zur anderen hat sich die Göttin der Liebe den Sagit-tarius Untertan gemacht. Nicht Amors Pfeil fliegt über Grenzen und Meere, nein, Agape ist es, die die Menschheit versöhnt!«
Mit diesen Worten war John zu ihnen getreten, und es war, als ob er sie erst jetzt erkennen würde. Sein Tonfall war völlig verändert, als er den Bischof und den Templer begrüßte. Mit Kopfschütteln wies er den angebotenen Wein zurück.
»Nicht einer törichten Nüchternheit zuliebe«, erklärte er freundlich, »sondern zu Ehren eines höheren Rausches!« Sein Blick ging durch die Anwesenden hindurch in We i ten, die sich nur ihm zu erschließen schienen. »Ich habe die Entscheidung getroffen«, sagte er leise. »Sonntag ist der Tag der Offenbarun g d es Gral. Die Zeit des sich Verst e ckens, der Flucht und Ängste ist vorbei, Wir zeigen die königlichen Kinder mutig der staunenden We lt . «
Nicola della Porta und Gavin Montbard de Bethune h o ben schweigend ihre Pokale, auch Sigbert von Öxfeld ließ sich nicht zweimal bitten. Sie tranken.
»Pian del Carpine«, gab der Bischof zu bedenken, »ist noch nicht bereit, seine ›Ystoria‹ noch nicht abgeschlo s sen; er wird –«
»Pian wird sich der weitaus wichtigeren Publikation und der ihm zufallenden Rolle darin nicht entziehen«, en t schied Turnbull bündig. »Was jetzt noch nicht geschri e ben ist, wird nie geschrieben!«
»Und was machen wir mit William?«
Aber der Alte wischte alle Bedenken beiseite und ließ sich von Sigbert die Treppen
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