Gral-Zyklus 1 - Die Kinder des Gral
schon mal getroffen?
Mein Blick wanderte blitzschnell zu den anderen im Raum: Da war Lorenz, der Hamo etwas vordeklamierte; er las es von einem Papier ab, und Hamo versuchte ihm nac h zusprechen. Ich versuchte den Wortlaut des Gedichts mi t zubekommen, da wurde die Tür wieder zugeschlagen.
Ich schaute mich um. Auf der Bühne war in der Mitte eine Art Altar aufgebaut, zu dem Stufen hinaufführten; das Ganze war mit einem weißen Tuch abgedeckt. Rechts und links standen je zwei Stühle an der Stirnwand. Auf dem einen saß kerzengerade und ebenso schneeweiß wie das Tuch der alte Turnbull. Er regte sich nicht, beachtete mich auch nicht – immerhin war ja meine Erscheinung eines kurzen Aufmerkens wert –; wie erloschen blickten seine Augen auf den Vorhang, durch ihn hindurch, übe r d en Saal, aus dem gedämpft Stimmen und erwartung s volles Gemurmel drangen. Mir fiel auf, wie weiß auch sein Haar geworden war – eine zerbrechliche Erscheinung, deren G e danken weit weg von dem Geschehen hier weilten, nicht hörbarer Flügelschlag ziehender Wildgänse hoch oben am milchig-grauen Himmel. Ich zog mich leise zurück.
Durch ein vergittertes Rundfenster fiel mein Blick h i nunter auf einen Ausschnitt der Freitreppe und des Haup t po r tals, die ich ja noch nie zu Gesicht bekommen, da man mich ja sogleich nach unserer Ankunft in den Keller ve r frachtet hatte. Mit leichtem Schrecken sah ich päpstliche Soldaten in wohlgeordneter Formation die Stufen hinauf s teigen, feierlich wie eine Prozession. Sie begleiteten wohl einige Mönche, von denen ich von oben aber nur die schwarzen Kapuzen sah.
Aufregung am Portal, zwei seltsam aufgemachte Prie s ter, ein hagerer und ein dicker, versuchten im Gefolge der Mönche mit den Päpstlichen hineinzugelangen, aber die Wachen stießen sie grob zurück, einige zogen sogar ihre Schwerter. Die beiden gestikulierten wild und suchten die Päpstlichen zur Hilfe zu rufen, doch die Soldaten und die Mönche reagierten nicht. Ohne ihnen Beachtung zu sche n ken, zogen sie, starren Blicks die einen, gebeugten Hauptes die letzteren, an den Unglücklichen vorbei, die sich jetzt auf die Brust schlugen und ihre Kreuze zeigten. Sie wurden weggejagt wie räudige Straßenköter, sogar Steine warfen die Wachen hinter ihnen her.
Doch dann nahmen sie schnell wieder respektvolle Ha l tung an: Mit wehender Oriflamme rückten die angekündi g ten Franzosen an und hoch zu Roß der Graf von Joi n ville. Den erkannte ich sofort, wenn ich ihn auch seit Marseille nicht mehr gesehen, einen so eitlen Pfau – und so stro h dumm dazu – kann man nicht vergessen! Dieser Torheit vertraute ich, daß er sich nicht mehr meiner entsinnen wü r de, sonst hätte er sich womöglich wieder g e wundert: ›In geheimer Mission!‹ Haha!!
Ich beeilte mich, wieder an mein Guckloch im Vorhang zum Saal zu gelangen, zumal jetzt die Stirnwand mit blauem Damast abgehangen wurde, gegen den sich das Weiß des Altars vornehm abhob. Zwei Dreifüße wurden ad latere pos t iert, in deren Schalen die Diener eine brennbare Flüssigkeit füllten, auch rechts und links an die Bühne n ecken wurden ähnliche Piedestale zur Illumination hinge s tellt.
Feierlichkeit ergriff mein Herz, doch meine Neugier überwog. Ich erlaubte mir einen letzten Blick durch den Schlitz im Vorhang, bevor man mich wegjagen würde.
Der Saal war inzwischen gut gefüllt. Die meisten hatten sich gesetzt, um den eroberten Sitzplatz nicht mehr zu ve r lieren. Unter den Arkaden, mir gegenüber, wo die Treppen vom Untergeschoß herauf mündeten, überboten sich ein päpstlicher Legat und der französische Sonde r botschafter gegenseitig an Courtoisie, um dem anderen den Vortritt zu geben, dabei wollte wohl jeder nur als letzter seinen Einzug halten, wie die Gräfin, die ich ger a de am Arm von Sigbert durch eine Seitentür entschwi n den sah. Sie würde beide Herren ausstechen, da war ich mir sicher!
Als der Kirchenmann klein beigegeben hatte und die Päpstlichen vor den Franzosen in den Saal strömten, da machte ich zwei Entdeckungen: Ich erkannte den jungen Mönch wieder, der mich in Sutri in Empfang genommen: Fra Ascelin! Hatte es also der Dominikaner zum Legaten gebracht! Und neben dem Grafen Joinville schritt Gui l lem de Gisors, der hübsche Tempelritter, den ich als ve r trauten Begleiter einer schwarzen Sänfte erinnerte – ›La Grande Maitresse‹ ! So zeigte sie also ihre Aufmerksa m keit, wenn auch selbst nicht in Erscheinung tretend, und ich war mir
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