Gral-Zyklus 1 - Die Kinder des Gral
trat vor, er stieß dreimal seinen Stab auf den Boden, und langsam glitt der schwere Samtvorhang nach beiden Seiten.
»Der oberste Priester der katholischen Kirche zu Kon s tantinopel, Erzdiakon der ›Göttlichen Weisheit, begrüßt seine erlauchten Gäste!« Er ließ den Angesprochenen Zeit, dem Bischof, der zwischen Ascelin und Joinville Platz g e nommen hatte, ihre Reverenz anzudeuten. »Wir feiern jetzt die Heilige Messe!«
Er trat zurück, dafür sah ich Galeran vortreten, gefolgt von Lorenz, der ihm zur Hand gehen würde. Die Me n schen erhoben , sich, die Damen und die Frömmsten fi e len auf die Knie.
»Êýñéå, Êýñéå, Êýñéå ÝëÝéóïí!« intonierte ein f ür mich eben ß falls nicht sichtbarer Knabenchor über unseren Kö p fen. Wahrscheinlich hatten die Lieblinge Nicolas auf der Empore Aufstellung genommen. »×ñßóôå åëÝéóïí!« an t wortete die dunkle Stimme Galerans, der kein Wei n genuß mehr anzumerken war. Leider konnte ich ihn bei seinem Offizium nicht beobachten, so sehr ich auch schielte. » Êýñéå, Êýñéå, Êýñéå åëÝéóïí!« antworteten die Knaben, und ich dachte, da ß eigenlich eine gar stattliche Versam m lung sich hier mir zu Ehren eingefunden hatte; denn wer im ›Mittelpunkt der Welt‹, weder im Saal noch hinter der Bühne, konnte wohl so viele Fäden feinsten Gespinst auf sich vereinen wie ich? Durch wen wurden hier so viele Schicksale verknüpft? Gut, die Kinder waren wohl der A n trieb, auch das Interesse, doch ohne mich, wo wären sie? Ich empfand es als richtig und gerecht nach soviel Entbe h rungen und Nöten, dann bald vor das staunende Publikum gerufen zu werden: ›William – und die Kinder!‹ »Gloria in excelsis Deo«, gab Galeran als praecantor vor, und die Knaben antworteten glockenhell: »Et in terra pax homin i bu s b onae voluntatis!« Die Kinder würden heute ›übe r höht‹ werden, wie sich der alte John Turnbull ausgedrückt hatte, er saß immer noch steif auf seinem Stuhl, wah r scheinlich konnte ihn nur der linke Teil des Saales sehen, und sicher machte der Alte einen Eindruck von großer Würde und Weisheit, › ’ Áãéá Óïößá‹, doch beschlichen mich Zweifel, ob alles so anstandslos über die Bühne g e hen würde, wenn er dann zur weihevollen ›chymischen Hochzeit schreiten würde? Wie mochten die Päpstlichen reagieren?
»Sanctus, sanctus, sanctus«, tönte die sonore Stimme des Ga-leran. Es war ein kluger Schachzug gewesen, di e sen Bischof hineinzuziehen, zweifelsfrei ausgewiesen als ›einer aus dem Heiligen Lande‹ – so hatte es weniger den Anstrich eines hausgemachten byzantinischen Komplo t tes, falls die Römer uns das vorwerfen wollten. »Dom i nus Deus Sabaoth!«
Ich blinzelte durch mein Loch. Vorn kniete Clarion, und ihre Augen hingen an dem jungen Templer, ihre feurigen Blicke umschwirrten ihn wie tausend Hummeln die Bl ü te. Verwirrt bog er sein Knie, als könne er so in Demut der Sünde leichter widerstehen – dabei begab er sich auf gle i cher Höhe mit der Versucherin erst recht in Gefahr. Als hätte der Graf sein Schutzbedürfnis oder das U n ziemliche verspürt, trat er beiläufig zwischen die beiden.
Diese Rochade gab mir plötzlich den Blick frei auf zwei kalt brennende Augen; verschwommen drang das › Hosia n na ‹ des Chores zu mir durch. Diese Augen gehörten dem Mann, der, im blauen Rock des Königs, mit Goldlilien übersät, hinter dem Gesandten stand. Das war der Mann, der uns im Nebel der Camar-gue begegnet war, der drei Sergeanten erschlagen hatte und den der Profoß auf seinem Karren … die Erschlagenen lagen bleich und mit gespalt e nen Schädeln … das war Yves der Bretone!
Ich sah Gespenster! Fra Ascelin, Madulain, Gisors! Doch diesmal fuhr mir ein Schrecken in die Knochen, als hä t ten sich Gräber aufgetan, der Saal voller Gerippe meiner Vergangenheit, die ihre Knochenhände nach mir ausstrec k ten. Ich zitterte a m g anzen Leibe, kalter Schweiß brach mir aus, auf Stirn, Rücken an den Händen.
»Agnus Dei, qui tollis peccata mundi:«
»Dona nobis pacem!« antwortete der Chorus.
Jetzt müßte, so war es mir von der Generalprobe bedro h lich in Erinnerung, denn mein eigener Auftritt wurde d a durch eingeleitet, Bruder Lorenz von Orta – der Zusatz ›Legat Seiner Heiligkeit‹ mochte mir nicht mehr über die Lippen kommen, seit im Saal einer saß, der sich diesen Rang sicher nicht schmälern lassen würde –, Lorenz müßte jetzt den heimkehrenden
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