Gral-Zyklus 1 - Die Kinder des Gral
darstellt!«
Pierre Amiel hatte Zeit gehabt, seine Widerstandskraft zu mobilisieren. »Was ist denn die Wahrheit des verfluc h ten Grals – wißt Ihr sie?« bellt er los. »Könnt Ihr sie anfa s sen? Hand auf sie legen? Wer seid Ihr überhaupt, daß Ihr so mit mir zu reden Euch erdreistet!«
»Vitus von Viterbo«, gibt dieser ruhig zurück und läßt die beiden Bischöfe stehen.
Ihre Figuren verblassen vor meinem inneren Auge, z u rück bleibt nur der schwarze übergroße Schatten des Inqu i sitors. Er wächst und wächst. Er greift nach mir. Ich recke ihm in meiner Not mein hölzernes Kruzifix entgegen, es verbrennt mir in den Händen, verwandelt sich zu einer Quelle sprühenden Lichtes, das mich blendet – aber es ve r jagt den dr o henden Schatten, er löst sich in Rauch auf. In meinen Händen halte ich den ›Gral‹. Als ich ihn näher b e trachten will, gar furchtsam zärtlich wie ein pochendes Herz, da sind sie leer …
Verwirrt über meine ketzerischen Gedanken, fiel ich, Dank der verzeihenden Mutter Gottes, endlich in erlösenden Tie f schlaf.
Es herrschte noch mondhelle Nacht, als Crean uns wec k te. Er und seine Gefährten trugen jetzt die weißen Mäntel der Templer, auch die faidits steckten in den schwarzen Überwürfen der armi-gieri des Ordens mit dem roten Ta t zenkreuz, die allesamt unter dem Heu meines Karrens ve r staut gewesen waren.
Im Morgengrauen überraschte uns dichter Nebel. Wir schlos-sen enger auf, doch kaum daß ich den weißen Ma n tel des vorwegreitenden Crean ausmachen konnte. Hinter uns plötzlich das Getrampel von Pferdehufen und das ho l pernde Geräusch eines rasch näher kommenden Gefährts.
»Platz dem Profoß des Königs!« rief eine heisere Sti m me. »Aus dem Weg!«
Gerade noch konnte ich meinen Karren zur Seite lenken, da sprengten schon die Soldaten vorbei, und hinter ihnen ratterte ein offener Wagen. Drei Leichen lagen darin, E r schlagene, klaffende Wunden, ich sah das Blut in ihren bleichen Gesichtern, doch was mich am meisten entset z te, war die Figur des Gefangenen, dessen stechende A u gen mich im Vorbeifahren anstarrten wie der Teufel!
Ich kannte diese Augen. Er war Student mit mir zusa m men in Paris gewesen. Ein stiller, mir immer etwas u n heimlicher Geselle, der sich abschloß von uns anderen, die wir das Leben in der Ca-pitale nicht zu kurz kommen li e ßen. Der verbissene junge Kanonikus sprach schnell Ar a bisch besser als wir alle. Auch jetzt tru g e r noch die abg e wetzte Priestersoutane, die er nie ablegte, soweit ich mich erinnere. Heiliger Gott sei bei uns!
Schnell schlug ich das Kreuz. Und schon war der Spuk vorbei, im Nebel verschwunden. Die Hände der faidits lö s ten sich vom Knauf ihrer Eisen, die sie unwillkürlich u m klammert hatten. Da der Bursche angekettet stand, muß er der Mörder gewesen sein! Soweit war es geko m men mit den Dienern der Kirche!
An den Gestaden Babylons
Marseille, Sommer 1244 (Chronik)
Am späten Nachmittag erreichten wir Marseille. So ste l le ich mir das griechische Konstantinopel vor, das Sündenb a bel, bevor wir dem wahren katholischen Glauben dort zum Sieg verhalfen. Diese, von Sümpfen umgebene Hafe n stadt der Provençe ist nicht Teil unseres christlichen Fran k reichs, das ist bereits verruchter Orient, Eiterbeule am Kö r per abendländischer Rechtschaffenheit. Fremdländer dun k ler Hautfarbe, in langen Gewändern, mit Ketten aus Am b ra, Jaspis und Elfenbein um den Hals, sie bemühen sich nicht ihre Andersartigkeit in Scham zu verstecken, nein, die tragen ihren Unglauben provokativ an unseren Gotte s häusern vorbei: Sizilianer, lasse ich mir sagen, also Unte r tanen des schändlichen Stauferkaisers! Dazwischen sogar Pechschwarze, mit Goldringen in den Nasen. Das sind die armen Heiden, die unseren Herrn Jesus nicht ablehnen oder gar bekämpfen: Sie kennen ihn nicht! So sind ihre Seelen noch nicht verloren, so in solch Wilden überhaupt eine Seele wohnt!
In dem Trubel, dem Geschrei und dem Gestank der Fischmärkte, der Geschäftigkeit der Basare, fiel unser Trupp nicht auf. Wir bahnten uns den Weg durch seidig g länzende Stoffballen aus Damaskus, offene Säcke mit du f tenden Gewürzen und Sandelholz aus Alexandria, Amph o ren aromatischer Essenze n a us Tunis. Auf der Mole stape l ten sich Fässer, Kästen und Körbe, die von gerade ang e kommenen Seglern entladen, versteigert und von Lasttr ä gern weggeschleppt wurden.
Das Schiff, das uns erwarten sollte, war noch nicht ei n getroffen,
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