Granger Ann - Varady - 01
genau gesehen wann. Er schien
einen guten Teil der Unterhaltung mitgehört zu haben,
denn er sah mich an und kicherte belustigt.
»Sie halten sich doch für so hart, Fran, nicht wahr? Aber
Marcie können Sie nicht annähernd das Wasser reichen.«
»Verschwinden Sie einfach!«, sagte ich zu ihm und stapfte
in meinen geliehenen Stiefeln davon. Er lachte laut hinter
mir her.
Ich wusste, dass er sich täuschte. Marcia fand in diesen
Tagen heraus, dass sie nicht halb so hart war, wie sie von
sich selbst geglaubt hatte. Keiner von uns ist das.
KAPITEL 13 Die Unterhaltung mit Marcia
hatte mich mehr mitgenommen, als ich mir selbst zunächst
eingestehen wollte. Nicht nur, weil sie so tief um ihre Tochter trauerte oder so unverblümt den Wunsch ausgesprochen
hatte, dass ich an Stelle ihrer Tochter vom Leuchterhaken
hätte baumeln sollen. Sie hatte die Art und Weise verändert,
in der ich bisher betrachtet hatte, von meiner eigenen Mutter verlassen worden zu sein. Vielleicht hatte ich meine
Mutter ebenso wie Terrys Mutter vorschnell verurteilt. Sie
musste einen guten Grund gehabt haben, als sie ging. So
sehr ich meinen Vater auch liebte, er und meine Mutter hatten offensichtlich Probleme gehabt, die sich nicht hatten lösen lassen. Wenn sie mich nicht mitgenommen hatte, dann
vielleicht deswegen, weil sie – genau wie Marcia – ein ganz
neues Leben aus dem Nichts aufbauen musste, ohne von einem kleinen Kind am Rockschoß behindert zu werden, oder
deswegen, weil sie keine geeignete Unterkunft für sich und
ein Kind finden konnte.
Dann dachte ich an Lucy und ihre Kinder. Selbst in unserem besetzten Haus hatte sie nicht eine Sekunde lang daran
gedacht, ihre Kinder im Stich zu lassen. Ganz gleich, wie
schlimm die Dinge auch standen, hatte sie mir einmal anvertraut, sie und ihre beiden Kinder würden zusammenbleiben. Sie hätte niemals geduldet, dass die Kinder vom Jugendamt abgeholt würden oder der leibliche Vater sie bekäme. »Ich würde ihn lieber umbringen!«, hatte sie gesagt.
Ich glaube, sie meinte es ernst.
Es war kompliziert, und um fair zu sein, ich war nicht in
der Position zu urteilen. Ich hatte selbst noch keine solchen
oder ähnlichen Erfahrungen hinter mir. Doch ich glaubte,
dass ich an meinen Kindern festgehalten hätte, genau wie
Lucy. Oder wenigstens hätte ich es versucht.
Der Hund sah mich kommen, als ich durch das Tor auf den
Hof ging, und rannte mir entgegen. Er bellte einmal, dann
schnüffelte er an meinen Gummistiefeln und wedelte mit
dem Schwanz. Es war schön, dass er mich wiedererkannte.
Ich hoffte, dass Nick mich ebenfalls erkannte und sich erinnerte, dass er mich eingeladen hatte, ihn zu besuchen.
In diesem Augenblick kam er aus einer Scheune. Er hatte
einen schmuddeligen Overall an und wischte sich die Hände
an einem ölverschmierten Lappen ab. Er sah mehr nach einem Mechaniker aus als nach einem Bauern.
»Der alte Trecker gibt bald seinen Geist auf«, sagte er.
»Ich brauche dringend einen neuen. Jeden Tag ist etwas anderes nicht in Ordnung. Trotzdem: Nett Sie wiederzusehen!
Sind Sie gut in die Stadt gekommen?«
»Prima, danke. Hübscher Hof. Ich bin eine waschechte
Städterin, wie Sie unschwer erkennen können.« Ich machte
eine Handbewegung in Richtung des Hofs. »Ich war in meinem ganzen Leben noch nie auf einem richtigen Bauernhof.«
»Nein? Tatsächlich?« Er schien es kaum glauben zu können, während er einen Blick nach hinten auf die Gebäude
warf. »Es gibt nicht viel zu sehen. Das hier ist eine richtige
Farm, kein Abschreibungsprojekt zu Zwecken der Steuerersparnis. Kommen Sie rein, und wir trinken eine Tasse Kaffee oder sonst etwas. Ich könnte einen Drink gebrauchen.«
Ich zögerte. »Ich möchte Ihrer Frau nicht zur Last fallen.«
»Frau?« Er starrte mich überrascht an.
»Jamie hat nach Mrs. Bryant gefragt …«
»Oh, meine Mutter!« Er grinste. »Ich bin nicht verheiratet. Ich habe noch keine Frau gefunden, die bereit ist, mit
mir den Hof zu bewirtschaften. Es ist ein anstrengendes Leben.«
Ich hatte nicht mit einer Mutter gerechnet und spürte
Nervosität in mir aufsteigen. Anständigen Müttern stand
ich nur selten Auge in Auge gegenüber. Ich war froh darüber, dass ich die Gummistiefel und die Barbourjacke trug.
Wenigstens würde ich nicht in meinen Pixieboots herumstöckeln.
Während ich Nick ins Haus folgte, versuchte ich mich
innerlich auf die Begegnung mit seiner Mutter vorzubereiten. Ich stellte sie mir als kleine, verhärmte Frau mit
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