Granger Ann - Varady - 02
entsorgen. Ich gab mir Mühe, nicht darüber nachzudenken.
Ich verlor jegliches Gefühl dafür, wie viel Zeit seit meiner
Entführung vergangen war. In meiner Situation erscheinen
einem Minuten wie Stunden. Sicher, ich wurde eine ganze
Weile auf der Lieferwagenpritsche hin und her geschleudert,
doch das bedeutet im Londoner Verkehr nicht unbedingt,
dass wir weit gefahren waren. Soweit ich sagen konnte, hatten wir vielleicht ein Drittel der Zeit gestanden. Ich war sicher, dass wir uns noch in London befanden, und wahrscheinlich waren wir nicht mehr als ein paar Meilen von der
Stelle entfernt, wo die Fahrt losgegangen war. Merv und sein
Kumpan dachten in eingefahrenen Bahnen. Sie würden sich
nicht weit von der Gegend entfernen, wo sie jede Gasse und
jedes Loch kannten (und wo ein Anruf bei einem Kumpan
jedes Alibi sicherte, falls es nötig wurde, so, wie sie es für die
Nacht demonstriert hatten, in der Albie gestorben war).
Endlich schien die Fahrt zu Ende. Wieder wurden Wagentüren zugeschlagen. Schritte näherten sich. Ich konnte
zwar immer noch nichts sehen, doch die Dunkelheit wich
einem diffusen Grau, als die Hecktür geöffnet wurde. Hände
packten mich, und ich wurde unsanft, aber genauso geschickt wie zuvor in ein Haus getragen.
Sie gingen jetzt sorgloser zu Werk und behandelten mich
wenig rücksichtsvoll. Sie unterhielten sich in normalem
Tonfall und stritten, wohin sie mich bringen sollten. Eine
Stimme, die ich als die von Merv erkannte, schlug vor, mich
»nach oben« zu bringen, wo auch immer das sein mochte.
Der andere Typ war dagegen, weil es schwierig wäre, mich
»um die Ecken zu bugsieren. Schließlich funktionieren die
Aufzüge nicht«, erklärte er brummend. Mehr noch, für so
eine dürre blöde Kuh wöge ich eine ganze Menge. Er weigerte sich rundheraus, mich einen Meter weiterzutragen. Sie
stellten mich ab, aufrecht diesmal, während sie die Angelegenheit ausdiskutierten. Der zweite Typ hieß Baz, wie ich
unterdessen herausbekommen hatte.
Soweit es mich betraf, fühlten sie sich absolut sicher, wo
auch immer wir uns gegenwärtig befanden. Es war niemand in
der Nähe, der sie hören oder sehen konnte, und sie hatten jede
nur denkbare Freiheit über das Haus. Sie konnten überlegen,
wo sie mich unterbrachten, und sich gegenseitig nach Herzenslust anbrüllen. Am Ende kamen sie darin überein, dass ich
selbst die Treppe hochlaufen könnte, wenn ich geführt würde.
Ich wurde vorwärts gestoßen, und dann befahlen sie mir,
die Treppe hochzusteigen. Ich weiß nicht, ob Sie schon
einmal versucht haben, mit einem Stück Stoff vor dem Gesicht und den Armen an die Seiten gefesselt eine Treppe
hochzusteigen. Versuchen Sie es als Partyspiel, wenn Sie Ihre Freunde loswerden wollen. Ich stolperte wiederholt und
fiel zweimal der Länge nach hin, wobei ich mir die Schienbeine aufschrammte und mir die Stirn an den höher liegenden Treppenstufen aufschlug. Selbst Merv und Baz wirkten
erleichtert, als wir endlich den nächsten Absatz erreicht hatten. Keiner der beiden wollte noch eine Etage höher, nicht
einmal Merv.
All das verriet mir, dass wir uns in einem großen oder
zumindest hohen Gebäude aufhielten. Ihre Stimmen hallten
von den Wänden, also stand das Gebäude wohl leer, was
durch ihr unbekümmertes Verhalten untermauert wurde.
Vermutlich waren wir in einem Wohnblock, der abgerissen
werden sollte, oder vielleicht in einem Bürogebäude, das
keine Pächter mehr anzog. Häuser wie dieses und kleine Industriegebäude mit dem »ZU-VERMIETEN«-Schild am
Eingang fanden sich überall in London.
Wir setzten uns erneut in Bewegung. Eine Tür wurde geöffnet.
»Hier rein«, befahl Merv, als könnte ich etwas sehen.
Ich trat vor. Ein Stuhl wurde verrückt und mir von hinten gegen die Kniekehlen gerammt.
»Setzen!«, befahl er.
Ich setzte mich. Einer von ihnen ging nach draußen, und
die Tür knarrte. Der andere zögerte vor meinem Stuhl, bevor er sich zu mir herunterbeugte und mir ins Ohr flüsterte.
»Ich komme wieder, Süße.«
Daran hegte ich nicht den geringsten Zweifel. Aber er
ging, wenigstens für den Augenblick, Gott sei Dank! Ich
hörte – vor allem wegen des Sacks, oder was es sonst war,
über meinem Kopf – gedämpft, wie sie in einiger Entfernung miteinander redeten. Einen kurzen Augenblick begehrte Baz auf: »Die blöde Kuh ist schuld, dass mein Motorrad im Kanal liegt!«
Merv schimpfte auf ihn ein.
»… kriegt es noch von mir!« Das war erneut Baz. Er
klang wie
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