Granger Ann - Varady - 02
seinen Tonfall geändert hatte und Albie
endlich ernst nahm. Es war immer vorteilhaft, wenn Ganesh
sich eines Problems annahm, denn das, was Ganesh sagte,
ergab im Allgemeinen Sinn.
Genau wie jetzt. Er hatte Recht. Jemand, der normalerweise sicher im Schoß einer respektablen Familie lebte,
konnte nicht unbemerkt verschwinden. Niemand würde
etwas bemerken, wenn ich verschwand – mit Ausnahme von
Ganesh und vielleicht (nach einer Weile) Daphne. Obwohl
Daphne vielleicht denken würde, ich hätte mich aus dem
Staub gemacht, und falls Gan tatsächlich nach High Wycombe zog und bei seiner Familie lebte, konnte es auch länger dauern, bis er mein Verschwinden bemerkt hätte. Es war
ein beunruhigender Gedanke. Fran Varady, die Frau, die
niemand vermisst.
»Die Kidnapper haben vielleicht zur Familie gesagt, dass
sie die Bullen aus dem Spiel lassen soll, oder etwas Schlimmes würde passieren. Die Familie versucht möglicherweise,
die Sache ohne Wissen der Polizei zu regeln.«
Damit könnte Ganesh gut im Rennen liegen. Es erklärte
die Gleichgültigkeit des Sergeants auf der Wache. Hätte er
von einer Entführung in seinem Revier gewusst, würde er
Albies Geschichte – ganz gleich, wie verrückt Albie sonst
noch sein mochte – ganz anders aufgenommen haben.
Die Mikrowelle gab ein Ping von sich. Jimmie erschien,
eingehüllt in Rauchschwaden wie ein Alien in einem LowBudget-Film, holte die Kartoffeln aus dem Ofen und näherte sich mit zwei Tellern unserem Tisch. Schwungvoll stellte
er die Mahlzeiten vor uns ab.
Die Kartoffeln waren Monster ihrer Spezies, blassbraun
gebacken, die Haut trocken und verschrumpelt und dunkel
wie die eines Nashorns. Mein Käse war zu einer gelben,
wachsartigen Pfütze geschmolzen, welche die Salatbeilage
einhüllte. Ich hätte die Bohnen bestellen sollen, wie Ganesh.
»Da, bitte sehr«, grunzte Jimmie, und: »Ich hab extra Salat
draufgetan.« Er zeigte auf den Salat.
Hatte er tatsächlich. Es gab zwei Scheiben unreife Tomate
und drei dehydrierte Gurkenstücke, die zusammen mit den
welken Kopfsalatblättern in dem gelben Wachsozean ruhten.
»Und mehr Füllung!«, fügte er mit der Sorte von Generosität hinzu, die sonst höchstens noch der Präsident von
Frankreich bei der Verleihung des höchsten französischen
Ordens, dem Legion d’Honneur , zur Schau stellte.
Wir dankten ihm beunruhigt – irgendetwas musste zweifellos dahinter stecken, wenn er sich so generös gab, und da
kam es auch schon.
Jimmie stemmte die Fäuste mit den erstaunlich behaarten
Armen auf den Tisch und sah mich an. »Ich hatte schon
darauf gehofft, dass du mal wieder herkommst, Fran. Du
bist doch Schauspielerin, stimmt’s?«
»J-ja«, sagte ich zögernd. »Aber ich bin noch nicht in der
Gewerkschaft …«
»Du brauchst keine Karte für das, was ich von dir will.
Ich hab da einen kleinen Job für dich.«
»Soll sie sich als Kartoffel verkleiden und draußen vor
deinem Laden auf und ab rennen, um Werbung für dich zu
machen?«, erkundigte sich Ganesh scherzhaft.
Ich wünschte, er hätte es nicht gesagt, denn daran hatte
Jimmie offensichtlich noch gar nicht gedacht – was er jetzt
jedoch tat. Er runzelte die Stirn. »Weißt du, das ist gar keine
schlechte Idee! Vielleicht ein andermal, eh?«
»Ganz bestimmt nicht!«, schnappte ich. Nicht einmal für
Extra-Salat und Käse.
»Dein Freund hier hat gar nicht so weit daneben gelegen.
Was hältst du von einem Job als Modell?«
»Bedeutet das, dass ich mich ausziehen muss?«, fragte ich,
weil es das ist, was ein »Job als Modell« in der Regel bedeutet. Nicht, dass ich prüde wäre, wenn es um echte Kunst
geht. Aber auf einer kleinen Bühne zur Mittagszeit vor einer
Bande von halb besoffenen Geschäftsleuten nackt herumzuhüpfen, hat meiner Meinung nach nichts mit Kunst zu tun.
Ich teilte Jimmie mit, falls er so etwas im Sinn hätte, solle er
sich zum Teufel scheren.
Er sah mich beleidigt an. »Nein, nein, da ist so ein junger
Bursche, Angus, ein Künstler. Er ist Schotte wie ich, und
weil er knapp bei Kasse war, hab ich ihm einen Job in meinem Imbiss gegeben. Er kommt frühmorgens her, wischt
den Boden und macht die Tische sauber und so weiter. Klar,
mit seiner Kunst verdient er kein Geld! Aber er meint es
ernst, und er ist sehr talentiert!« Jimmie nickte zu seinen
Worten und verstummte abwartend.
Ganesh zog ungläubig eine Augenbraue hoch und richtete seine Aufmerksamkeit auf sein Essen.
Jimmie hingegen richtete seine Aufmerksamkeit auf mich.
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