Granger Ann - Varady - 02
frei.
Ich verfluchte mich dafür, dass ich mich mit meinem
Schrei verraten hatte, und blieb still stehen, während ich
lauschte, ob mein Verfolger irgendwo zu hören war. Ganz
schwach vernahm ich das Tuckern seiner Maschine, irgendwo in der Dunkelheit voraus. Dann zuckte in der Ferne
ein heller Scheinwerfer auf und wanderte über das Ufer, die
Böschung und das Wasser wie ein Suchlicht. Das Aufheulen
des Motors verriet mir, dass es sich um den Scheinwerfer
eines Motorrades handelte.
Gütiger Gott!, dachte ich, und das Herz schlug mir bis
zum Hals. Er hat die Lücke im Zaun gesehen und weiß, wo
ich bin, und jetzt hat er einen Weg hinunter auf den Treidelpfad gefunden! Er kommt hierher!
Ich musste meinen Verfolger abschütteln. Ich konnte ihm
nicht ewig entkommen; irgendwann, sehr bald, würde das
Katz-und-Maus-Spiel ein für mich widerwärtig endgültiges
Ende haben. Ich sah hinunter auf meinen lädierten Fuß,
bemerkte das zusammengerollte Tau, und mir kam eine
Idee. Ich packte das Ende des Seils und sprang in das Gewirr
aus Büschen und Nesseln entlang der Böschung. So schnell
ich konnte, zog ich das Tau straff und sicherte es an einem
Baumstamm. Dann steckte ich den Kopf aus der Deckung.
Das Motorrad wartete am Ende des Treidelpfads. Ich
wusste, dass es dort war, auch wenn der Fahrer so clever gewesen war, seinen Scheinwerfer abzuschalten. Wahrscheinlich lauerte er auf eine Bewegung im Schatten der Böschung
oder die Umrisse einer Gestalt im schwachen Licht, das auf
dem Treidelpfad herrschte. Der Radfahrer fiel mir ein, der
an mir vorbeigerast war, als ich Blumen zu Albies Gedenken
dort, wo er aus dem Wasser gezogen worden war, niedergelegt hatte. Vielleicht war das ja derselbe Mann; vielleicht war
er dort mit dem Rad entlanggefahren, weil er wissen wollte,
was am Kanal so geschah. Ein Mörder, der zum Schauplatz
seines Verbrechens zurückkehrte. Falls es wirklich derselbe
Mann war, dann kannte er jedenfalls diesen Treidelpfad,
wusste, wie man auf den Pfad kam, wusste, wie breit er war,
kannte jede Unebenheit im Weg, einfach alles. Er war auf
vertrautem Boden. Ich spielte sein Spiel.
Ich machte den nächsten Zug und trat entgegenkommenderweise auf den Pfad. Als er meiner Meinung nach genügend Zeit gehabt hatte, um mich zu entdecken, wandte
ich mich um und rannte den gleichen Weg zurück, den ich
gekommen war.
Er hatte mich gesehen. Der Motor seines Motorrads heulte triumphierend auf. Der Scheinwerfer flammte auf, und
ein heller Lichtfinger zuckte den Pfad entlang, während er
mir hinterherjagte – dem Tau entgegen, das ich zwanzig
oder dreißig Zentimeter über dem Boden quer zum Pfad gespannt hatte.
Ich weiß nicht, ob er es entdeckte, bevor er dagegen krachte. Das hätte bei seiner Geschwindigkeit keinen Unterschied
gemacht. Ich wartete nicht. Hinter mir gab es ein ohrenbetäubendes Krachen und Scheppern, ein letztes Aufbrüllen des
Motors, das abrupt erstarb und beinahe augenblicklich von
einem lauten Platschen abgelöst wurde. Eine Welle schwappte über den Pfad, und ich bekam nasse Füße. Dann erreichte
ich die Treppe, die ich hinuntergestürzt war, die Treppe, die
nach oben führte, dorthin, wo der Zaun sich öffnete. Für einen Moment blieb ich stehen und warf einen Blick zurück.
Von meinem Verfolger war keine Spur zu sehen, weder
auf dem Treidelpfad noch im Wasser des Kanals. Dann
tauchte ein behelmter Kopf auf, gefolgt von einem verzweifelt rudernden Arm, und dann schrie jemand um Hilfe. Irgendwo ging Licht an, und auf einem der Hausboote wurde
eine Luke geöffnet. Jemand kam an Deck und leuchtete mit
einem Handscheinwerfer den Kanal ab. Der Lichtkegel fand
die strampelnde Gestalt im Wasser.
»Was zum Teufel ist da los?«, schrie der Bootsbesitzer.
Ich wartete nicht länger und rannte die Treppe hinauf zur
Straße.
Ich kann mich kaum erinnern, wie ich es bis nach Hause
geschafft habe. Erst als ich die Treppe zu meiner Kellerwohnung hinunterstolperte, kam ich wieder halbwegs zur Besinnung und fing an, meine Gedanken zu ordnen.
Das Wichtigste war jetzt, meine Blessuren zu versorgen.
Ich ging ins Badezimmer und betrachtete mich im Spiegel.
Ich hatte einen Schnitt am Kinn, der immer noch blutete.
Meine Hände, die Handflächen, die Handballen, waren
schlimm zerschunden, und in den offenen Wunden war jede Menge Dreck. Ich schälte mich aus meiner Jacke. Mit
dem Ellbogen drehte ich den Kaltwasserhahn auf und ließ
Wasser über meine Handflächen laufen, bis der Dreck
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