Grappa 08 - Grappa und die fantastischen Fuenf
Angeklagter und ein geschmierter Staatsanwalt. »Warum Kossmann?«, fragte ich. »Was hat er denn mit der Sache zu tun?«
»Da tappt Brinkhoff auch noch im dunkeln«, berichtete Jansen. »Er hat nur eine vage Vermutung. Die hat aber mit der Vergangenheit nichts zu tun.«
Ich überlegte. »Kossmann erkannte Leon Pirelli bei der Geldübergabe im S-Bahnhof und hätte ihn später als Erpresser identifizieren können.«
»Könnte sein.«
»Es passt irgendwie nicht. Leon kann niemanden qualvoll mit einer Plastiktüte ersticken. Schließlich kenne ich den Jungen ein bisschen. Er gehört zu den Weichspülern. Außerdem – warum sollte er Geige spielen, während sein Opfer erstickt und er genau weiß, dass die Polizei den Funksprechverkehr live mithört? Nein, das passt überhaupt nicht zusammen. Mir kommt es so vor, als habe jemand den Verdacht absichtlich auf Leon gelenkt.«
»Wie auch immer«, sagte Jansen, »alles weitere soll die Polizei klären. Sicher ist nur, dass Solo nicht der Mörder von Kossmann sein kann – er hat uns zwei als Zeugen dafür.«
Aufgewühlt strapazierte ich meine Gehirnwindungen. In dieser Story waren entschieden zu viele Gefühle, zu viele Fragen und immer noch zu wenig Fakten.
»Ich fahre zu Solos Wohnung«, kündigte ich an. »Vielleicht ist Lena noch da. Ich würde sie gern aus allem raushalten. Sie tut mir leid.«
»Das kannst du dir sparen«, meinte Jansen. »Die Polizei war schon da. Brinkhoff hat nur eine leere Wohnung voll von abgebrannten Kerzen gefunden, in der jemand ausgesprochen hastig ein paar Sachen eingepackt hat.«
»Dann haben die drei das Geld geholt und sind getürmt!«, rief ich.
»Mensch, Grappa! Das klingt gerade so, als ob du dich freust. Immerhin sind drei Menschen über die Klinge gesprungen ... und es gab eine Millionenerpressung. Sind das für dich nur Peanuts?«
»Natürlich nicht«, sagte ich schnell. »Mord ist eine scheußliche Angelegenheit und zudem noch streng verboten. Und Erpressung ist auch keine schöne Sache. Aber mein Herz schlägt halt immer für die, die vom Schicksal gebeutelt werden. Wie viele Zeilen kriege ich?«
Die Freiheit des Mörders
Noch nie war mir eine so komplizierte Geschichte schneller aus der Feder geflossen. Ich schwelgte in blumigen Worten, erfand romantische Begriffe, schilderte in tränenreichen Nachempfindungen die herzzerreißende Ballade einer hingebungsvollen Liebe, die keine Erfüllung finden durfte und deshalb in tödlicher Rache ihr Schicksal fand.
Das einzig Unschöne an der Story waren die drei Morde und die Millionenerpressung. Man kann eben nicht alles im Leben haben, dachte ich.
Irgendwann – ich hämmerte noch immer auf die Tasten meines Computers – dämmerte mir etwas. Anfangs war's nur ein kleiner elektrischer Schlag, der mein Großhirn streifte und wieder verschwand wie ein Blitz. Nach ein paar Minuten Konzentration hatte ich den Zipfel wieder gepackt.
Was – zum Teufel – war mit dem Vermögen der Eltern passiert? Leon und Lena lebten seit Jahren von der Hand in den Mund, sich mühsam durch Geigenspiel und Straßenmalerei über Wasser haltend.
Der Unfall der Eltern war ungefähr vor zehn Jahren passiert. In dieser Zeit musste das Geschwisterpaar das Erbe durchgebracht haben – oder etwas anderes war geschehen.
Der Grund für Solos Rache an Tabibi und Klima lag in der Vergangenheit – dort würde ich vielleicht auch das Motiv für Kossmanns Tod finden. Und Thilo May, der Flughafenchef, stand ebenfalls noch auf Solos Todesliste – fast hätte ich ihn vergessen.
Kossmann hatte auf ausdrücklichen Wunsch der Erpresser das Geld überbracht – damit er ermordet werden konnte. Doch was hatte May mit all dem zu tun? Ich hatte den Mann in meinen Recherchen völlig vernachlässigt. Die einzige Verbindung zu den anderen war die Mitgliedschaft im Sunshine-Club e. V. , jener merkwürdigen Mischung aus Samariterbund, Talentförderung und Lotteriespiel.
Ich schrieb den Artikel zu Ende, speicherte ihn ab und verschickte ihn per Tastendruck auf Jansens Schreibtisch mit der Bitte, ihn unbedingt gegenzulesen.
Dann rief ich beim Amtsgericht an und bat die Angestellte, mir den Vereinsregisterauszug vom Sunshine-Club herauszusuchen – ich würde in zehn Minuten da sein. Das hätte ich längst tun sollen, dachte ich. Hoffentlich war es nicht zu spät.
Der Sunshine-Club war ein sozial tätiger Verein, dessen Zweck die »Förderung sozial benachteiligter Jugendlicher und unschuldig in Not geratener Menschen«
Weitere Kostenlose Bücher