Grappa 11 - Grappa und das große Rennen
fraglichen Militärhospital aktenkundig sei – und als Kriegsverbrecher gesucht würde. Er hatte unter falschem Namen in der Klinik gearbeitet, so dass Lika nach dem Krieg unerkannt in Deutschland untertauchen konnte.
Ich versprach, der Gesellschaft meinen Artikel nach dem Erscheinen sofort zukommen zu lassen. Die Organisation ihrerseits würde dann die Auslieferung Likas vorantreiben und den Fall bundesweit bekannt machen.
»So, Grappa«, meinte Jansen zufrieden. »Dann leg mal los. Halt dich aber hart an die Fakten und zügle dein übermütiges Temperament.«
Ich fuhr den PC hoch, machte eine paar Lockerungsübungen mit den Fingern, starrte den Monitor an und tippte los:
Dr. Arnim Lika – seine Patienten liegen ihm zu Füßen. Der Psychologe, Therapeut und Bierstädter Modearzt ist jetzt in den Verdacht geraten, an schweren Kriegsverbrechen im Sommer 1992 in Bosnien-Herzegowina beteiligt gewesen zu sein. Die Menschenrechtsorganisation ›Gesellschaft für bedrohte Völker‹ bestätigte gegenüber unserer Zeitung, dass international nach einem Mann gefahndet wird, auf den die Beschreibung von Lika passt.
Arnim Lika ist in Deutschland aufgewachsen und hier zur Schule gegangen. Er hat die Universität besucht und mehrere wissenschaftliche Bücher veröffentlicht. Lika hat sich außerdem in der Nachbetreuung vergewaltigter Frauen engagiert. Deshalb ist es umso unglaublicher, dass Lika während des Bürgerkrieges in Bosnien mehrfach Frauen gequält, vergewaltigt und auch ermordet haben soll.
Unserer Zeitung liegt der Bericht einer Augenzeugin vor, die die Verbrechen des Arztes an einer muslimischen Krankenschwester schildert. Diese Frau ist bis heute verschwunden, vermutlich ist sie ermordet worden.
Das ›Bierstädter Tageblatt‹ wird das Beweismaterial der Staatsanwaltschaft übergeben. Die ›Gesellschaft für bedrohte Völker‹ hat die Protokolle als authentisch bezeichnet und angekündigt, die Auslieferung des serbischen Arztes an das Kriegsverbrechertribunal in Den Haag zu fordern.
Natürlich hat sich unsere Zeitung um eine Stellungnahme des Arztes bemüht. Doch Dr. Lika ist zurzeit nicht erreichbar.
Jansen entschied, dass wir Auszüge der Protokolle wörtlich abdrucken und auch das Foto ins Blatt nehmen würden. Die Bombe war scharf, am nächsten Morgen würde sie hochgehen.
Trotzdem war mir mulmig zumute. Ich hatte genau das getan, was der Drahtzieher im Hintergrund von mir erwartet hatte: Lika zum Abschuss freigegeben. Ich kam mir vor wie eine Marionette, die an Fäden tanzt, die ein anderer zieht.
Armer Wunderheiler
Der Leitende Oberstaatsanwalt zeigte sich an den Beweisen gegen Lika sehr interessiert. Er war am Morgen nach Erscheinen des Artikels zu uns in die Redaktion gekommen und hatte sich die Dokumente angesehen.
»Wo ist Ihre Kollegin Dr. Cosel abgeblieben?«, fragte ich. »Ich habe schon länger nichts mehr von ihr gehört.«
»Sie ist leider erkrankt«, erklärte er.
»Gerade jetzt? Wo noch immer drei ungeklärte Morde im Raum stehen?«
»Man kann sich den Zeitpunkt einer Krankheit nicht aussuchen«, verteidigte der Mann seine Mitarbeiterin.
Lika verschwunden, Frau Cosel krank – das passt zusammen, dachte ich, die beiden haben sich zusammen aus dem Staub gemacht.
Für den Rest des Tages klinkte ich mich aus dem Redaktionsbetrieb aus. Zu viele Anrufe – positiver und negativer Art. Eine Patientin von Lika warf mir »böswilligen Rufmord« an ihrem Idol vor, die nächste drohte mir eine Klage an, weil ich ihren »Wunderheiler« mit Dreck beworfen hatte. Aber es gab auch Leser, die dem Bierstädter Tageblatt zu dem Mut gratulierten, eine solche Geschichte überhaupt zu veröffentlichen – immerhin sei Lika eine bekannte Persönlichkeit mit besten Kontakten in höchste Kreise.
Ich rief Tom Piny an und wir beschlossen, uns in ein italienisches Gartenrestaurant zurückzuziehen. Der Stress der letzten Stunden war mir voll auf den Magen geschlagen – ich hatte mal wieder einen Riesenhunger.
Zum Glück konnte ich mich auf TOP verlassen – wenn es um gutes und reichliches Essen ging. Er machte mir kein schlechtes Gewissen, pfiff aufs Zählen von Kalorien genauso wie ich und schlug auch beim Alkohol gern mal über die Stränge.
Zwei Prosecco neigten sich dem Ende zu, als er sagte: »Schöne Geschichte, die du da geschrieben hast.«
»Danke für die Blumen.«
»Sie hat nur einen Schönheitsfehler – sie stand in der falschen Zeitung. Wie bist du an die Unterlagen
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