Grappa 11 - Grappa und das große Rennen
Smart-Anhängern von vornherein verdächtig.
»Das kann sich noch ändern«, meinte Tom Piny. »Da ist nach oben und unten mindestens für zwei Punkte Luft.«
Plötzlich Geschrei aus der Menge. Die ersten zwanzig Wahllokale hatten die abgegebenen Stimmen ausgezählt – das Ergebnis war auf der Leinwand abzulesen: Smart lag mit sattem Abstand vor Nagel.
»Ach, du Scheiße!«, entfuhr es mir.
»Das hat nichts zu sagen«, beruhigte mich TOP. »Es sind die kleinen Wahllokale aus dem Bierstädter Süden – da wird immer CDU gewählt. Warte mal ab, bis die Bezirke im Norden dran sind.«
»Neuer Start mit Gerry Smart«, skandierten die Konservativen.
Ich beschloss, mir ein Glas Sekt an einem der Getränkedepots zu holen, und kämpfte mich durch die Menge. Dabei traf ich auf den Rathauspförtner – jenen Mann, der jeden sah, der das Rathaus betrat und wieder verließ.
»Sieht ja gar nicht so schlecht für Nagel aus«, begann ich ihn in ein Gespräch zu verwickeln.
»Eine Schande wär's, wenn die Schwarze rankäme«, schimpfte der Mann. »Die führen sich ja schon auf, als gehörte ihnen hier alles. Schlechtes Benehmen. Dagegen ist der Nagel ein feiner Mensch.«
»Ist ja auch sehr fleißig, der Herr Nagel«, stimmte ich zu. »Sozusagen Tag und Nacht im Dienst der Kommune und immer für den Bürger da. Letzten Mittwoch zum Beispiel – da hat er doch noch gegen Mitternacht gearbeitet, oder?«
»Genau«, nickte der Mann. »Ich traute meinen Augen nicht, als plötzlich das Taxi vorfuhr und Herr Nagel um halb zwölf hier reinspazierte.«
»Wie lange ist er denn im Büro geblieben?«
»Nur zehn Minuten. Irgendwann ist auch mal für ihn Schluss.«
Jubel brauste auf – weitere zwanzig Wahllokale hatten die Stimmen ausgezählt. Im Gesamtergebnis lag Nagel im Moment mit Smart gleichauf. Jetzt konnten die Sozialdemokraten langsam anfangen zu feiern.
Ich kaufte ein Glas Sekt und schlenderte zu Piny zurück. Nagel ist tatsächlich unschuldig, dachte ich, mein Verdacht war unbegründet.
»Was machst du denn für ein Gesicht?«, fragte TOP. »Es läuft doch alles prima. Warum wirkst du so genervt?«
Ich nippte den Alkohol. »Ich habe gerade den Pförtner gefragt. Nagel hat mir die volle Wahrheit gesagt. Er war am Mittwoch gegen halb zwölf abends im Rathaus. Das Taxi hat ihn direkt vor dem Eingang abgesetzt. Sein Alibi ist bombenfest. Er kann Lika unmöglich umgebracht haben.«
»Wieso Taxi?«
»Was meinst du?« Ich verstand nicht.
»Er hatte doch den Dienstwagen. Zumindest hast du es mir so erzählt.«
Ich stutzte. Wieso war Nagel mit dem Taxi gekommen? Mir wurde abwechselnd heiß und kalt.
Weitere Wahlergebnisse wurden bekannt gegeben, inzwischen war Jakob Nagel kaum mehr zu schlagen – über die Hälfte der Wahllokale hatten ihre Resultate gemeldet. Nagel hatte knapp über 50 Prozent der Stimmen erhalten – und das langte.
Ich bekam die positive Entwicklung zwar mit, doch mein Gehirn beschäftigte sich mit anderen Dingen. Wo war Nagels Dienstwagen am Mittwochabend abgeblieben?
»Da ist Gottwald!«, hörte ich Tom Piny sagen.
Seine Stimme drang wie durch einen Wattebausch zu mir, mein Gehirn arbeitete auf Hochtouren, spuckte wilde Farben und setzte Puzzleteile zusammen, von denen ich überhaupt noch nicht wusste, dass es sie gab.
Jetzt hatte ich's!
Ich sah zur Empore hinauf. Oben stand der Exoberbürgermeister, neben ihm sein Nachfolger Jakob Nagel. Beide schauten in die Bürgerhalle, winkten in die Menge, die nun zu jubeln begann.
Gregor Gottwald! Er hatte Lika erledigt. Gottwald war mit Nagels Dienstlimousine zu Likas Landhaus gefahren. Dort hatte er ihn gezwungen, das Geständnis zu schreiben und ihn dann in der Garage erschossen.
»Ich hab's!«, meinte ich zu TOP.
»Was hast du?« Er war in einer anderen Welt als ich.
»Ich weiß, wer Lika ermordet hat.«
»Ach, Grappa!«, wehrte TOP ab. »Wen interessiert das heute Abend? Diese Stadt ist gerade den Klauen des real existierenden Kapitalismus entkommen und du redest von Mord! Lika ist Schnee von gestern. Da oben stehen die Sieger – und da schleicht die Verliererin herum.« Er deutete hinter sich.
Gerry Smart ließ sich gerade von Mitgliedern ihrer Boygroup auf die Schultern klopfen. Sie wirkte eingeschnappt und ich hörte, wie sie einem Journalisten den Satz: »Der Pöbel in dieser Stadt hat mich nicht verdient« ins Mikrofon blaffte.
Gregor Gottwald und Jakob Nagel schritten – Feldherren gleich – die breite Treppe hinab. Jubel und Applaus
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