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Grappa 16 - Rote Karte für Grappa

Grappa 16 - Rote Karte für Grappa

Titel: Grappa 16 - Rote Karte für Grappa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriella Wollenhaupt
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Halbzeit.
    Harras war wieder ansprechbar. »Komm, Grappa«, sagte er. »Jetzt brauch ich ein Bier und was zwischen die Kiemen. Hast dich ja tapfer gehalten.«
    Im VIP-Bereich waren die Fressstände mit Frischwaren versorgt worden. Berge von Kuchen standen verlockend hinter Glaswänden und lächelnde Bedienungen warteten auf Kundschaft. Es duftete nach frischem Kaffee.
    Ich ließ mir eine Tasse geben, schnappte mir ein Stück gedeckten Apfelkuchen, in dessen Mitte eine winzige schwarz-gelbe Fahne gesteckt worden war.
    Harras hatte sich einen halben Liter Bier geholt und saß schon am Tisch. Er wischte sich den Schaum vom Mund ab und machte sich über eins von zwei Stücken Sahnetorte her, die er erbeutet hatte. Diese Kombination musste ein echtes kulinarisches Erlebnis sein!
    »Und? Wie gefällt's dir bis jetzt, Grappa?«, kaute er.
    »Interessant«, meinte ich. »Eigentlich ist es ja ziemlich lächerlich, wenn erwachsene Männer einem Lederball nachjagen und achtzigtausend Leute völlig entfesselt sind. Doch irgendwas ist da noch, und zwar etwas Positives.«
    »Ach, was? Und so was sagst ausgerechnet du?«
    »Hier können die Menschen für zwei Stunden abschalten, Freundschaft, Wärme, Freude und Spannung spüren.«
    »So isses, Grappa.«
    Er hatte das erste Stück Kuchen fast vertilgt und zog sich den Teller mit dem zweiten heran.
    »Das wirkliche Leben ist ja für die meisten in dieser Stadt nicht farbig, nicht aufregend und schon gar nicht großartig«, dozierte ich weiter.
    »Hast ja so Recht«, mümmelte er.
    »Es gibt eine Arbeitslosenziffer von nahezu siebzehn Prozent, darunter viele Langzeitarbeitslose, Sozialhilfeempfänger und Jugendliche ohne Zukunftsperspektive. Und in so einer Situation kann der Fußball als Gemeinschaftserlebnis Gutes bewirken.«
    »Genau«, grinste Harras. »Und erst mal die Pilsken danach!«
    »Nimmst du mich eigentlich ernst?«, fragte ich.
    »Und wie. Ich fand intellektuelle Frauen mit gesellschaftspolitischem Background schon immer klasse«, behauptete er. »Isst du dein Stück Kuchen nicht?«
    »Du bist ein echter Blödmann«, muffelte ich. »Ich bemühe mich, dir ein soziologisches Phänomen mit einfachen Worten zu erklären, und du verarschst mich.«
    »Willst du mir wirklich erzählen, dass du das alles hier ohne Herzblut betrachtest?«
    »Natürlich.«
    »Dann nimm mal dein Taschentuch, Grappa, und wisch dir die Wimperntusche vom Gesicht. Die hat nämlich Spuren hinterlassen, als du während der Schweigeminute für Toninho Rotz und Wasser geheult hast.«
    »Ich hab nur was ins Auge bekommen«, behauptete ich.
    Zufällig fiel mein Blick auf mein Handy. Viermal hatte jemand versucht, mich anzurufen, und viermal hatte ich wegen des Lärms im Stadion nichts gehört. Außerdem war eine SMS eingegangen, und zwar von Wayne Pöppelbaum: Ruf mich sofort an. Leichenfund. Könnte T. sein. Bin unterwegs dahin.
    »Was ist los?«, fragte Harras. »Du bist ja weiß wie die Wand.«
    »Ich muss weg«, stotterte ich.
    »Jetzt?«, fragte er entsetzt. »Bevor das Spiel zu Ende ist?«
    »Ja, jetzt. Und ich brauche ein Auto. Und zwar deins.«
    »Du spinnst ja.«
    »Das ist ein Notfall«, sagte ich mit Nachdruck. »Gibst du mir den Autoschlüssel?«
    »Was für ein Notfall?«
    »Privat. Meine Mutter. Sie ist die Treppe heruntergefallen.«
    »Du hast eine Mutter?«
    »Jeder hat eine Mutter. Sogar ich. Und jetzt rück den Schlüssel raus, Harras!«
    »Nimm ein Taxi!«
    »Dauert zu lange. Dafür hast du einen Gefallen gut! Nun mach schon!«
    Die zweite Halbzeit wurde angekündigt und die Stammtischler verließen die Lounge.
    »Bitte!«
    Resigniert zog er den Autoschlüssel aus der Tasche. »Geh pfleglich mit meinem Baby um, ja?«
    »Klar«, versprach ich. »Nimm dir ein Taxi nach Hause. Und trink dir noch ordentlich einen. Kannst du ja jetzt machen – ohne Karre.«
    Harras nickte. »Mach ich. Grüß deine Mutter.«
    »Sie wird sich freuen. Und nochmal danke.«
    Ich machte mich davon, leistete meiner Mutter auf der Treppe Abbitte und wählte Pöppelbaums Nummer. Er war schon am Fundort der Leiche angekommen.
    »Ist er es?«, fragte ich.
    »Sie bestätigen es nicht offiziell – aber er ist es.«
    »Wo bist du?«
    »Unter der Autobahnbrücke.«
    Wayne beschrieb mir den Weg.

Weggeworfen
    Unterhalb der Brücke standen nur verfallene Häuser, deren Bewohner geflüchtet waren, als ihnen die Autobahn die Sonne nahm. Niemand hatte sich die Mühe gemacht, die Gebäude abzureißen oder zu verschließen. So

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