Grappa 16 - Rote Karte für Grappa
Tickets. Fast wäre ich lang hingeschlagen: Für den Stammtisch- Bereich musste man mindestens vier Karten kaufen und die kosteten im Jahr knapp über 20.000 Euro!
»Wer kann denn so viel bezahlen?«, fragte ich entgeistert.
»Firmen, Institutionen, Sponsoren«, klärte mich Harras auf. »Und da sind nur die Bundesligaspiele drin. Für die Sonderspiele muss nochmal extra gelöhnt werden. Die Presseplätze sind eigentlich unten – direkt am Spielfeldrand.«
»Und warum sitzt du nicht da? Schreibst du doch nicht über das Spiel?«
»Unten treiben sich nur die Fotografen und die Kamerateams rum. Die Reporter verteilen sich über das Stadion. Also kann auch ich von hier oben berichten.«
»Und woher hast du die Karten für den VIP-Bereich? Das Tageblatt ist ja wohl kaum so großzügig.«
»Ich habe die Karten über einen Bekannten bekommen.«
Bevor ich mich erkundigen konnte, wer dieser großzügige Spender war, entdeckte ich Erika Sauerwald. Sie saß mit Gefolge an einem großen, runden Tisch und schien sich prächtig zu amüsieren. Ihr Haarturm war leicht derangiert und sie hatte wohl schon einige Bierchen gekippt.
Harras war meiner Blickrichtung gefolgt und meinte: »Das ist der Präsidententisch.«
»Und wo ist Gatte Sauerwald?«, fragte ich.
»Der sitzt bei den Spielen immer neben dem Trainer«, erklärte er. »Er kommt erst nach der Pressekonferenz nach oben.«
»Und wer ist der Typ neben der Präsidentengattin?«
Ich deutete auf einen Mann, dessen rotes, aufgedunsenes Gesicht nicht mit dem teuren dunkelgrauen Anzug mit Weste und Einstecktuch harmonieren wollte, den er trug. Ein Ballonseidenanzug in Pink-Türkis hätte besser zu seinem Teint gepasst.
»Theo Böhme. Don Prosecco. Bruder, Schwager und Onkel – und der WM-Beauftragte. Soll ich ihn dir vorstellen?«
»Das muss wirklich nicht sein«, wehrte ich ab.
»Okay. Er ist übrigens ganz nett.«
»Davon bin ich überzeugt«, sagte ich.
Böhme schaute jetzt direkt in unsere Richtung, hob die Hand zum Gruß. Ich drehte mich um, doch da winkte niemand zurück.
»Meint der etwa dich?«, fragte ich Harras.
»Klar. Immerhin hat er mir die beiden Karten gegeben.«
»Wie bitte?« Ich verschluckte mich prompt und begann zu husten. Harras klopfte mir auf den Rücken.
»Du hast die Karten von Don Prosecco bekommen?«, keuchte ich.
»Reg dich bloß nicht auf«, meinte Harras. »Ist doch nichts dabei.«
»Das sehe ich aber ganz anders«, ereiferte ich mich. »Wie können wir unabhängig berichten, wenn wir uns hier auf Kosten von Böhme voll fressen und voll saufen?«
»Ich wusste nicht, dass du neuerdings Fußballberichte schreibst«, entgegnete Harras. »Du bist heute privat hier, oder täusche ich mich? Und ich lasse mich bestimmt nicht mit einer Karte bestechen – denn beim Fußball zählt nur das, was im Netz landet, mehr nicht. Und jetzt lass uns nach draußen gehen, das Spiel fängt gleich an.«
Die Spielfläche war eine riesige und total grüne Landschaft, gesäumt von den steil aufsteigenden Zuschauerrängen. Bisher kannte ich Fußballspiele nur aus dem Fernsehen, hatte nie die gesamten neunzig Minuten durchgehalten und das Ganze natürlich nur zweidimensional gesehen.
Mich erstaunte die brodelnde Luft, die zigtausend murmelnden Menschen, die gespannte Erregtheit. Vor mir, hinter mir und neben mir wurde die Mannschaftsaufstellung diskutiert, wurden Prognosen abgegeben und irgendwelche Dönekes erzählt.
Die berühmte Südtribüne – die billigsten Plätze für die eingefleischtesten Fans – war eine riesige schwarz-gelbe Wand. Beifall brauste los, obwohl noch gar nichts passiert war, und Gesänge ertönten, die Beschwörungen ähnelten.
Ich merkte, wie ich von dem kollektiven Gefühl mitgerissen wurde. Ja, auch ich war eine Bierstädterin, eine Bewohnerin der Stadt, die sich einen Bundesligaverein mit Macken, ein Konzerthaus mit Defizit und eine zweistellige Arbeitslosenziffer leisten konnte. Es wäre doch gelacht, wenn wir Schwarz-Gelben die Blau-Weißen von nebenan nicht in die Knie zwingen würden!
Unsere Mannschaft lief aufs Spielfeld und stellte sich auf, die Jungs sahen aus wie aus dem Ei gepellt. Kurz danach folgten die Blau-Weißen, eine eher schlappe Truppe, die prompt ausgepfiffen wurde.
Aus den Lautsprechern ertönte ein Gong, im Stadion hielten alle den Atem an, eine Stimme forderte die achtzigtausend Zuschauer auf, sich zu erheben und eine Schweigeminute für Toninho einzulegen.
»Wir trauern um unseren Kameraden.
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