Grappa lässt die Puppen tanzen - Wollenhaupt, G: Grappa lässt die Puppen tanzen
Informant ein Häuschen weiter, um sich dem Digi-Ritter des Lokalfernsehens aufzudrängen.
Der Leichenwagen des Bestatters stoppte vor dem Haus. Drei ernst schauende Männer griffen den Alusarg und liefen in das Haus. Wie oft hatte ich diese Szene schon beobachtet?
Plötzlich beneidete ich Wurbelchen, die sich in ihrem langen Journalistenleben nur mit schöngeistigen Dingen befasst hatte und sich jetzt um ohnmächtige Hummeln Sorgen machen durfte.
Kleist näherte sich uns mit federnden Schritten. Er war unrasiert und sah hinreißend verrucht aus.
»Guten Morgen, die Dame und die Herren«, begrüßte er uns förmlich, denn die Kollegen hörten ja mit.
»Ich werde Ihnen einige kurze Informationen zum zurzeit laufenden Einsatz geben. Vorläufige Informationen.«
Der Sarg wurde auf die Straße getragen und im Auto verstaut. Blitzlicht und Kamerasurren.
Kleist fuhr fort: »Ein besorgter Bürger informierte das städtische Ordnungsamt über unerträglichen Gestank, von dem er glaubte, dass er aus der Gaststätte drang. Das Amt gab die Beschwerde dann an das Lebensmitteluntersuchungsamt weiter. Doch der zuständige Kontrolleur war krank. So kam es erst sechs Wochen nach dem ersten Hinweis zu einem Besuch. Der Mitarbeiter stellte fest, dass die Gaststätte geschlossen und der Gestank verschwunden war. Er nahm an, dass das Ordnungsamt der Kneipe Ausschankverbot erteilt hatte, überprüfte dies aber nicht. Weitere Wochen vergingen. Bei der gestrigen Razzia in der Nordstadt erhielten wir einen Hinweis, dass in dieser Kneipe etwas nicht in Ordnung sei. Der Pächter ist ein bulgarischer Staatsangehöriger. Die Kollegen der Polizeiwache Innenstadt-West überprüften das Gebäude, fanden in der Wohnung über der Schankstube eine weibliche Leiche und informierten uns.«
Jetzt prasselten jede Menge Fragen auf Friedemann Kleist ein: »Wer ist die Frau?«
»Liegt ein Verbrechen vor?«
»Hat das Ganze mit den Roma zu tun?«
»Wann ist die Obduktion?«
»In der Wohnung sollen Pornos gedreht worden sein. Was wissen Sie darüber?«
Kleist winkte ab. »Sie müssen sich gedulden. Im Laufe des Tages gibt es eine Presseerklärung. Ich hoffe auf Ihr Verständnis.«
Ein schalldichtes Filmstudio
Wayne hatte gute Arbeit geleistet. Seine Fotos dokumentierten den Einsatz fast wie ein bewegter Film. In der Redaktion saßen wir nebeneinander vor meinem PC und betrachteten die Bilder.
Die Klingelleiste an der Tür des Hauses trug keine Namen, aus dem hölzernen Fensterrahmen der Kneipe spross eine Mini-Birke. Die Leuchtreklame war zerbrochen, sie zeigte auf einer Seite nur noch die Buchstaben: …ürmchen, und die steinernen Stufen vor der Eingangstür waren abgewetzt und speckig.
»Hast du auch Fotos von der Wohnung?«
»Sicher.« Er blätterte weiter und stoppte.
»Oben ist alles etwas besser erhalten«, stellte ich fest. »Die Fensterrahmen scheinen neu zu sein. Schade, die Wohnung hätte ich gern mal gesehen. Aber ohne Leiche. Ob die da wirklich Pornos gedreht haben?«
Wayne blies verächtlich Luft aus. »Pornos kriegt man doch für billiges Geld nachgeworfen. Warum sich die Mühe machen und sie selbst drehen?«
Ich bekam sechzig Zeilen zugeteilt. Die mit Fakten zu füllen, war ohne die angekündigte Presseerklärung schwer. Am späten Nachmittag erreichte sie schließlich meinen Mailaccount.
Die tote Frau sei unbekannt, ein Gewaltverbrechen nicht auszuschließen. Der Zustand der Leiche, die mehrere Wochen lang in der Wohnung gelegen habe, mache eine schnelle Obduktion unmöglich. Ein forensischer Entomologe des Landeskriminalamtes werde hinzugezogen.
Hände und Füße der Frau waren gefesselt. Es handelt sich um einen sogenannten Webeleinstek – dieselbe Art Knoten wie bei dem ungeklärten Mord an einer Roma, die vor zehn Tagen in einem Hinterhof der Juliusstraße gefunden wurde.
Es gab also eine Verbindung zum ersten Mord! Ich rief Kleist an, um ihn noch ein bisschen auszuquetschen.
»Was habt ihr in der Wohnung sonst noch gefunden?«
»Maria! Du weißt doch …«
»Standen dort Kameras herum? Wurden wirklich Pornos gedreht, wie die Leute behaupten?«, machte ich weiter.
»Keine Kameras«, gab er sich geschlagen. »Kaum Möbel, nur ein Bett. Alles war weggeräumt. Natürlich haben wir dennoch jede Menge Spuren gefunden. Körperflüssigkeiten, Haare und so weiter. Wir haben Luminol-Lösung versprüht und das Zimmer wurde leuchtend blau.«
»Also auch Blutspuren?«
»Sehr viel Blut. Zwar weggewischt – aber
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