Grappa und die keusche Braut
ist kein Jäger und hat weder Waffenschein noch Besitzkarte. Der Sohn hätte eine solche Waffe auch kaum einfach aus den Ferien ins Internat mitbringen können.«
»Und wo hat der Täter das Schießen gelernt?«, fragte die Monitor- Frau.
Jetzt ergriff Kleist das Wort. »Im Internat.«
Stille.
»Ja, meine Damen und Herren. Ich war auch sehr erstaunt.« Kleist sah in die Runde. »In diesem Institut gibt es viele Sportangebote. Reiten, Tennis, Golf, Surfen, Basketball – und Schießen. Im Keller des Internates Schloss Waldenstein befindet sich eine moderne Schießanlage. Patrick Sello hat an entsprechenden Kursen teilgenommen.«
»Schießen in der Schule?«, ereiferte sich ein anderer Kollege. »Das gibt es doch nicht! Jetzt sagen Sie bloß, dass sich im Waffenschrank der Schule eine MP5 befindet?«
»Nein«, antwortete Kleist. »Selbstverständlich gibt es keine MP5 im Waffenschrank des Internates. Die Kurse werden mit den üblichen Gewehren der Sportschützen durchgeführt. Bisher wissen wir nur, wo Sello das Schießen gelernt hat.«
»Die MP5 hat nur diese dreißig Schuss, danach muss das Magazin nachgeladen werden.« Der BILD-Kollege hatte gut zugehört. »Haben dreißig Schuss ausgereicht, fünfzehn Menschen und sich selbst zu töten?«
»Die Ladezeit mit dem Ersatzmagazin dauert etwa fünf Sekunden«, erklärte der Beamte vom Landeskriminalamt. »Bei zusammengeklebten Magazinen nur drei Sekunden. Sello hatte ein zusammengeklebtes Magazin. Er kannte sich gut aus.«
»Was ist ein zusammengeklebtes Magazin?«, fragte ich.
»Sie nehmen zwei Magazine – mit der Lageöffnung nach oben –, befestigen dazwischen ein kleines Stück Holz mit Klebeband und wickeln Klebeband darum. Die beiden Ladeöffnungen stehen dann etwa zwei Zentimeter auseinander. Sobald das erste Magazin leer ist, wird es rausgenommen und das zweite reingekippt. Das verkürzt das Nachladen etwa um die Hälfte der Zeit.«
Ich verstand diese Details nicht. Aber eins wurde mir klar: Patrick Sello hatte nichts dem Zufall überlassen.
»Wie viele Schüsse sind insgesamt abgefeuert worden?«, fragte ich.
»Fast drei Magazine. Das letzte Magazin enthielt noch zwei Patronen. Wir haben achtundachtzig Hülsen gefunden. Sello hat gezielt auf Köpfe und Oberkörper gefeuert. Er wollte offenbar sichergehen, dass alle sterben.«
»Und wie hat er sich dann selbst getötet?«
»Mit einem Schuss in den Mund. Auch dabei ist er auf Nummer sicher gegangen.«
Das Foto des gut aussehenden jungen Mannes tauchte vor mir auf. Das Gesicht mit den sympathischen Zügen, der intelligente, leicht fragende Blick. Wie konnte sich so jemand auf eine so grausame Weise töten? Ich hatte mal den Bericht über eine Firma gelesen, die sich auf die Beseitigung der Spuren von Gewaltverbrechen spezialisiert hatte. Obwohl die Mitarbeiter dieses Unternehmens einiges gesehen und gesäubert hatten – ein Selbstmörder, der sich durch einen Schuss in den Mund das Hirn wegpustet, war selbst für diese Experten schlimm.
»Was ist mit der Seriennummer der Waffe? Darüber müsste man die Herkunft doch klären können.«
»Die Nummer ist weggefräst worden«, antwortete der LKA-Mann. »Wir überprüfen jedoch mit ballistischen Untersuchungen, ob die MP5 schon bei anderen Straftaten verwendet worden ist.«
»Was sagt die Lehrerin?«, wollte ein Kollege wissen.
»Wir machen Fortschritte. Kleine Fortschritte. Die Frau steht noch immer unter Schock. Das blockiert ihre Erinnerung an den Tathergang. Ich bitte Sie deshalb um Verständnis für unsere aktuelle Zugeknöpftheit.« Kleist lächelte. Es stand ihm gut. Sogar ein Grübchen tauchte auf.
Ich bemerkte die Blicke der anwesenden Damen und grinste innerlich. Ja, Mädels, dachte ich, das ist meiner. Jedenfalls ab und zu.
Zurück in der Redaktion fasste ich zusammen, was ich vernommen hatte, und warf dann die Frage auf, wieso Jugendliche an Schusswaffen ausgebildet wurden:
Haben uns die Fälle Winnenden, Emsdetten und Erfurt nichts gelehrt? Damals ist eine Verschärfung des Waffenrechtes gefordert worden. Was nützen solche Maßnahmen, wenn unsere Schülerinnen und Schüler Schießen als Freizeitfach wählen können?
»Ist das nicht ein bisschen dicke, Grappa?«, meinte Jansen zweifelnd, nachdem er meinen Artikel gelesen hatte. »Du kannst nicht eine ganze Sportart abschaffen. Die Übungen auf dem Schießstand des Schlosses wurden bestimmt nicht mit einer MP5 ausgeführt. Das Ding, das Patrick
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