Grappa Und Die Seelenfaenger
haben Sie eigentlich zur morgigen Ausgabe des Tageblattes beizutragen, Frau Kollegin?«
Wurbelchen schlug ein einfühlsames Porträt des Konzertmeisters des Philharmonischen Orchesters vor.
»Ist der nicht Koreaner?«, fragte ich. »Voll der Migrationshintergrund. Hoffentlich finden Sie den richtigen Ton.«
»Er ist Japaner, Frau Grappa!«, entgegnete Wurbelchen. An ihrem Hals krochen hektische Flecken hoch.
»Japan – Korea? Hauptsache Italien«, verhunzte Harras den uralten Fußballwitz.
»Schluss jetzt!« Schnacks Stimme klang ärgerlich. »Herr Biber, für Sie habe ich einen besonderen Auftrag.«
Bärchen nahm Habachtstellung an.
»Heute früh gab es einen bedauerlichen Schulwegunfall. Ein achtjähriges Mädchen wurde von einem Auto überfahren. Einem Geländewagen. Die Fahrerin hat das Kind aufgrund der Bauweise des Autos übersehen. Sie steht unter Schock. Und es waren noch andere Kinder am Schauplatz, die den Unfall mit ansehen mussten. Die Schule befindet sich ganz in der Nähe. Notfallseelsorger sind eingeschaltet. Ich hätte gern eine einfühlsame Reportage über diese Schule im Ausnahmezustand. Und Sie, Herr Pöppelbaum, begleiten Herrn Biber. Versuchen Sie, das Entsetzen und die Verzweiflung der Schülerinnen und Schüler und ihrer Lehrer ins Bild zu setzen. Bitte möglichst sensibel.«
»Sensibel kann ich nicht«, brummte der Bluthund.
»Wir alle lernen noch dazu«, lächelte Schnack zuckersüß.
Robert Fuchs, Operierender Thetan. So stand es auf der Visitenkarte.
Was war ein Thetan? Ich wollte das genauer wissen. Mit Birsen wollte ich mich am Nachmittag treffen.
Auf der Seite der Kirche der Erleuchteten machte ich mich schlau:
Der Thetan ist das geistige Wesen, die Seele. Es setzt seinen Verstand als ein Kontrollsystem ein, das zwischen ihm und dem physikalischen Universum steht. Der Verstand ist nicht das Gehirn. Das Gehirn ist Teil des Körpers. Es lässt sich mit einer Schalttafel vergleichen. Es ist bloß eine Leitungsröhre, die wie ein Telefonkabel Nachrichten übermittelt. Die Person als Thetan – als unsterbliches geistiges Wesen – zu betrachten, ermöglicht es, Fähigkeiten und Bewusstsein zu erhöhen.
Nach der Sektenlehre lebt der Thetan seit ewigen Zeiten, hat den Urknall – die Entstehung des Universums – mehrfach erlebt, ist allwissend und unsterblich. Laut Hovart sind die Thetane der Menschen mindestens 350 Milliarden Jahre alt und existierten bereits vor der Schöpfung.
Hörte sich an wie eine Stelle aus einem Science-Fiction-Roman, was keine Überraschung war, da Hovart sich erfolglos am Schreiben solcher Bücher versucht hatte.
Jeder Thetan hatte in diesen 350 Milliarden Jahren viele Verletzungen durchlitten. Diese hatten sich als Traumata im Thetan abgelagert. Und die Sekte lehrte, dass man sich durch Dianetik von diesen Störungen lösen konnte. Das erste Hauptziel der Entwicklung der Person war, sich von allen negativen Einflüssen aus Vergangenheit und Gegenwart zu befreien. Wem das gelang, der errang den Status ›Clear‹.
Aber damit war es nicht zu Ende.
In acht Stufen kann sich ein Clear zum OT, also Operierenden Thetanen entwickeln. Und von den Operierenden Thetanen ging es dann weitere fünfzehn Stufen aufwärts. Auf der obersten Stufe war ein Thetan mit allen Merkmalen der Allmacht ausgestattet. Der Thetan befand sich dann nicht mehr in einem Körper, sondern konnte in völliger Freiheit Materie, Energie, Raum, Zeit und Denken beherrschen.
Komplizierte Sache, dachte ich. Da waren die Prämissen der christlichen Kirchen einfacher: Oben im Himmel saß der liebe Gott und passte auf seine Schäfchen auf. Oder auch nicht. Jedenfalls musste man nicht selbst Gott werden.
Wenn Robert Fuchs als Operierender Thetan Raum, Zeit und Materie beherrschte, dann stand mir ein interessantes Treffen bevor. Eine Zeitreise durch die Schöpfungsgeschichte würde mir gefallen. Allerdings mit Rückfahrtschein. Und vielleicht einem leckeren Essen. Ob er auch den Trick mit dem Tischleindeckdich konnte?
Ich recherchierte weiter, doch die vielen Fachausdrücke zu den verschiedenen Seelenzuständen verwirrten mich. Die Erleuchteten glaubten daran, auch völlig verstörte Menschen ›heilen‹ zu können, waren aber erklärte Gegner der traditionellen Psychoanalyse.
Mein Magen knurrte, längst war Mittagszeit. Auf dem Weg in die Kantine kam ich am Chefbüro vorbei. Die Tür stand offen. Frau Keucher-Blum thronte hinter ihrem Schreibtisch, Bärchen Biber lümmelte
Weitere Kostenlose Bücher