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Grau - ein Eddie Russett-Roman

Grau - ein Eddie Russett-Roman

Titel: Grau - ein Eddie Russett-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eichborn-Verlag
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Infragestellen der wunderbaren Klarheit der Warteschlangen hier in Ost-Karmin als eine ernsthafte Störung. Die Regeln wirken häufig auf geheimnisvolle Weise, und vorschnelles Handeln, das scheinbar kurzfristig Nutzen bietet, hat manchmal unvorhergesehene Folgen, die nur Zwietracht säen.«
    »Zu Ihrem unverdienten Glück«, fügte von der Malve hinzu, »haben Sie einen Antrag auf Anerkennung als Standardvariable gestellt. Nach den Regeln können wir Sie dafür also nicht bestrafen.«
    Kann sein, dass ich darüber geschmunzelt habe, was wahrscheinlich ein Fehler war.
    »Kommen wir nun«, sagte Amaranth, »zu dem schwerwiegendsten Vorwurf, der gegen Sie erhoben wird.«
    Ich sah die Präfekten nacheinander an. Mir fiel nichts ein, was ich getan haben könnte, das ich nicht hätte abstreiten können oder das leicht nachweisbar gewesen wäre. Die Präfekten konnten sehr streng sein, aber sie waren zu Fairness und zu korrektem Vorgehen verpflichtet. Wenn nicht, war ich berechtigt, beim Ombudsmann des Nachbardorfes eine Beschwerde einzureichen, und am Ende konnte es passieren, dass nicht ich, sondern die Präfekten bestraft würden.
    »Ich muss Sie leider davon in Kenntnis setzen«, fuhr Amaranth in sarkastischem Tonfall fort, »dass das Letzte Kaninchen gestorben ist. Nicht, wie vorhergesagt, an Altersschwäche, sondern es ist an einem Löwenzahnblatt erstickt.«
    »Wie schade«, sagte ich leise, um die Stille zu füllen, die sich über den Raum gelegt hatte. Dann begriff ich und verlor jeden Mut.
    »Wann ist es gestorben?«, fragte ich leise.
    »Einen Tag vor Ihrer Ankunft hier«, psalmodierte von der Malve mit Grabesstimme. »Wenn Sie, wie Sie behaupten, das Kaninchen besucht haben, hätten Sie es wissen müssen.«
    »Du hast uns belogen!«, kreischte sofort Violetta. »Das ganze Gerede, das weiche Fell, die Zähnchen und der weiße Schwanz – also wirklich, ich bin schwer enttäuscht!«
    »Wir sind alle enttäuscht«, sagte von der Malve. »Und offen gesagt, Ihr Vater teilt unsere Enttäuschung. Im ganzen Dorf haben Sie mit Ihrer Kenntnis über das Kaninchen geprahlt, haben sogar den Schulkindern im Unterricht davon erzählt – ein abscheulicher Vertrauensbruch. Ich hoffe, dass mir so etwas nicht noch einmal begegnet, solange ich lebe.«
    Ich senkte den Kopf, denn es stimmte. Ich hatte gelogen. Der Nachschlag aber kam mit einer Kopie des Telegramms, das ich an meinen besten Freund Fenton geschickt, und in dem ich eine frei erfundene Taxazahl genannt hatte. Lügen war schlimm genug, doch durch Betrug einen Gewinn zu erzielen noch viel schlimmer. Ich saß wirklich tief in der Patsche.
    »Bestreiten Sie die Vorwürfe?«, fragte von der Malve.
    Das konnte ich nicht, und ich sagte es ihm. Für dieses Vergehen wurde ich zu einer Strafe von sechshundert Meriten verurteilt, wodurch sich die Gesamtsumme auf achthundert erhöhte. Das konnte einem schon die Tränen in die Augen treiben. Bei jeder anderen, mit weniger Meriten ausgestatteten Person hätte das Reboot bedeutet. Mir würde das erspart bleiben, ich hatte ja noch knapp fünfhundert übrig. Doch der springende Punkt war, dass ich erst wieder die Schwelle von tausend Meriten erreichen musste, bevor ich auch nur daran denken konnte, um Constance’ Hand anzuhalten. Selbst mit zusätzlicher Nützlicher Arbeit und nur, wenn nichts dazwischenkam, würde ich dafür mindestens drei Jahre benötigen. Constance war keine Frau, die auf einen wartete, aber schlimmer noch, ich hatte gehofft, ein positives Ishiharaergebnis würde ihren Vater dazu bewegen, mir eine offene Rückfahrkarte zukommen zu lassen. Ich musste hier weg, je eher, desto besser.
    Ich nahm mein »1000 Meriten«-Abzeichen ab und übergab es dem Präfekten.
    »Außerdem werden Sie angewiesen, das hier vier Wochen zu tragen.«
    Amaranth gab mir ein Abzeichen, auf dem nur ein Wort stand, mehr nicht: » LÜGNER «. Nachdem ich einmal tief durchgeatmet hatte, steckte ich es unterhalb der »Muss sich in Demut üben«-Nadel an. Ich hatte bisher erst einmal in meinem Leben ein Lügner-Zeichen getragen, und es war alles andere als lustig gewesen.
    Ich fing sofort an zu überlegen, wie ich die verlorenen Meriten wieder zurückgewinnen konnte. Courtland fiel mir ein und sein Vorschlag, das Lincoln zu stehlen oder ihm Löffel aus Rostberg zu besorgen. Aber ich wollte mich von niemandem zu irgendwelchen weiteren regelwidrigen Aktionen hinreißen lassen. Außerdem würden dabei nur Barmeriten herausspringen, nicht solche, auf

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