Grauzone: Der 13. Fall für August Häberle (German Edition)
ungewöhnlichen Ermittlungsarbeit nicht Wind
bekommen hatte.
Im vorliegenden Fall, daran musste Häberle schlagartig
denken, würde es vermutlich nicht mehr lang dauern, bis die Heimatzeitung auf
den Tod der Frau aus Drackenstein aufmerksam wurde. Normalerweise hörte der
örtliche Polizei- und Gerichtsreporter Georg Sander das Gras wachsen. Doch weil
bislang noch eine ausländische Dienststelle zuständig war, hatte der
Pressesprecher der Polizeidirektion Göppingen keinen Anlass gesehen, einen
Medienbericht herauszugeben.
»Und noch etwas«, Häberle klang ungewöhnlich bestimmend.
»Sie müssen auch an diesen Kliniken dran bleiben. Unsere Computerexperten haben
im Rechner dieser Frau Waghäusl eingescannte Dokumente gefunden, die so etwas
wie Honorarabrechnungen für irgendwelche privaten Dienstleistungen sein sollen.
Ohne genaue Absenderangabe, dafür aber mit einem Konto bei der Western Union
Bank.«
An Linkohrs Gesichtsausdruck war abzulesen, dass er
nachvollziehen konnte, was der Chef meinte.
»Wenn ich
diese Dokumente richtig deute«, Häberle zog mehrere Computerausdrucke aus
seinem Papierstapel heraus, »dann gibt es wohl eine Dame, die sich
möglicherweise – wie auch immer – das Vertrauen schwer kranker älterer Menschen
erschleicht und sogenanntes Geistheilen anwendet. Handauflegen und so. Und dann
horrende Honorarrechnungen verschickt. Auch noch an die Hinterbliebenen derer,
die nicht mehr zu retten waren.«
Linkohr
wartete vergeblich darauf, dass Häberle dies als ironisch gemeinte Bemerkung
verstanden haben wollte. »Was glauben Sie«, sagte er stattdessen mit einem
selten gehörten dienstlichen Tonfall, »wie viel die Menschen bereit sind, in
bestimmten Notlagen zu bezahlen – wenn die Schulmedizin am Ende
ist und nur noch der Glaube weiterhelfen kann. Und dabei meine ich mit ›Glaube‹
nicht mal die Religion, sondern den Glauben an natürliche Kräfte.«
Linkohr
wusste, dass Häberle zwar ein Realist mit klarem und scharfem Verstand war, es
gleichzeitig aber gerade deshalb für möglich hielt, dass es jenseits des heutigen
Kenntnisstandes der Wissenschaft noch viel Unentdecktes gab. Wäre dies nicht
so, hatte er einmal zu bedenken gegeben, müsste man nicht Unsummen in die
Forschung stecken.
»Wenn man die Datensammlung der Frau Waghäusl genau
liest, muss es jemanden geben, der die Aufträge in den Kliniken koordiniert,
beziehungsweise es dieser Geistheilerin ermöglicht, mit den Schwerkranken
Kontakt aufzunehmen – bis hin zu den Intensivstationen. Das
Honorar wird über ein Konto bei der Western Union Bank abgewickelt – was nicht gerade einem üblichen Geschäftsgebaren
entspricht.«
Häberle schob einen Teil der Papiere über den
Schreibtisch zu Linkohr hinüber, der sich über diese plötzliche
Arbeitsüberschüttung wunderte.
»Noch etwas ist spannend«, fuhr Häberle fort und hob den
Ausdruck einer E-Mail hoch. »Schriftverkehr der Frau Waghäusl. Demzufolge muss
es am vergangenen Samstag – also heute vor einer Woche – bei diesem Weltuntergangsvortrag im Gewölbekeller des
Blumenhändlers eine interessante Begegnung gegeben haben. Denn auch Frau
Waghäusl müsste dort gewesen sein.« Häberle hatte wieder einmal das
Interessanteste bis zum Schluss aufgehoben. »Sie hat ihr Kommen nämlich der
Professorin angekündigt. Einer Duzfreundin im Übrigen.«
»Da haut’s dir ’s Blech weg.« Linkohr reagierte mit
seinem Lieblingsspruch, wie immer im Zustand allerhöchsten Erstaunens.
»Lassen Sie’s noch dran – das Blech«, konterte Häberle. »Ich weiß, Sie wundern
sich, dass ich die Akten zu Ihnen rübergeschoben habe.« Er grinste. »Aber die
nächsten Tage werden Sie mich hier vertreten.«
Linkohr
wusste nicht, ob er sich freuen oder ärgern sollte. Dieses Wochenende hatte er
eigentlich bei Nena im Remstal verbringen wollen. Andererseits war es natürlich
eine Ehre, den Chef vertreten zu dürfen.
»Ich
gönn mir auch mal ein paar Tage in den Bergen«, sagte Häberle grinsend. »Mit
dem Wohnmobil. Inkognito auf dem Campingplatz in Grän.«
»Ach?
Mit Ihrem eigenen?« Linkohr wusste, dass Häberle vor einigen Jahren ein
gebrauchtes Wohnmobil gekauft hatte, nachdem ihm das Mieten eines solchen
Fahrzeugs auf die Dauer zu umständlich gewesen war.
»Mit
dem eigenen, ja«, erwiderte er. »Ich spiel ein paar Tage den Pensionär und
versuch, mit ein paar Herrschaften dort ins Gespräch zu kommen.« Mit diesen
Worten schob er seinen ganzen Papierstapel vollends zu Linkohr
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