Gray Kiss (German Edition)
bebender Stimme. Das war nicht mehr er. Das klang anders, und Furcht breitete sich in mir aus. Jetzt sprach der Engel. „Du kannst mich nicht für immer festhalten.“
„Aber ich kann es versuchen“, hörte ich Bishop mit normaler Stimme sagen. Es war, als führte er ein Selbstgespräch.
„Sie macht dich glücklich, diese Frau. So viele gute Emotionen, aus denen ich wählen kann, wenn du sie ansiehst. Ich kann es spüren, jedes einzelne Gefühl. Ich kann dafür sorgen, dass du zerbrichst und verzweifelst und dir den Tod wünschst. Du weißt, was es heißt, ein gefallener Engel zu sein und an etwas gebunden, das dir die Verbindung zum Himmel verbietet. Ausgestoßen zu sein von dem Ort, den du als dein Zuhause betrachtest. Du hast ihnen alles gegeben, doch von ihnen hast du nichts im Gegenzug erhalten.“
Ja, das war der gefallene Engel. Sie war komplett verrückt geworden wegen ihrer Seele. Viel mehr war nicht mehr von ihr übrig - eine unnatürliche Seele, die außerhalb ihres zerstörten Körpers leben musste. Ein Echo aus Schmerz und Elend, das nur immer wieder in sich selbst nachhallen konnte.
Mein Mitleid mit diesem Wesen wurde allerdings geschwächt durch die Tatsache, dass sie so vielen Menschen Qualen zugefügt hatte, seit sie aus dem Schwarz geflohen war. Aber möglicherweise konnte man ja doch mit ihr reden. Sie war einmal ein Engel gewesen - das war für mich von Bedeutung. Ganz egal, was dieser Engel getan hatte, im Grunde war sie in ihrem Herzen immer noch ein himmlisches Wesen.
Das hoffte ich zumindest.
Ich schritt vorsichtig auf ihn zu. „Bitte tu Bishop nicht weh.“
Die seltsamen Augen starrten mich an. „Ich kann nichts für das, was ich mache. Ich füge denen Schmerz zu, die besitzen, was ich nicht habe. Und ich will mehr.“
„Du kannst etwas dagegen tun! Du kannst einfach aufhören damit.“
„Ich will Frieden. Ich will Ruhe. Aber der Tod ist keine Option für mich. Ich habe schon versucht zu sterben. Es gelang mir nicht.“
Bishops Augen begannen, noch mehr zu glänzen. Man konnte gar nicht mehr erkennen, welche Farbe sie überhaupt hatten.
„Kann ich etwas machen, um dir zu helfen?“ Ich klang verzweifelt.
„Keine Hilfe mehr. Zu spät. Dieser Körper …“ Bishop hielt die Hände vors Gesicht. „Ich könnte mich daran gewöhnen. Er meinte, ich könnte wieder leben, wenn er mich freigäbe.“
„Wer hat das erzählt?“
„Bald“, flüsterte er. „Bald wirst du alles erfahren. Aber ich will jetzt wieder leben. Ich will, dass meine Qualen enden. Ich kann nicht länger warten.“
„Deine einzige Möglichkeit, leben zu können, besteht darin, das Leben anderer zu zerstören“, hörte ich Kraven sagen, der plötzlich hinter mir stand. Das Blut rauschte so laut in meinen Ohren, dass ich ihn kaum verstand. „Doch bei ihm gelingt dir das nicht.“
„Brüder“, erwiderte der Engel. „Du und er, ihr seid Brüder. Er bedeutet dir etwas.“
Kraven zuckte mit den Schultern. Er hatte immer noch den roten Becher in der Hand, dessen Inhalt er jetzt kreisen ließ. „Falsch. Eigentlich hasse ich ihn. Aber wenn irgendjemand sein Leben auslöscht, werde ich das sein und nicht du. Also Finger weg!“
„Er gehört mir! Du kannst mich nicht aufhalten! Keiner von euch kann das!“
Wütend starrte ich den todbringenden Engel in Bishops Gestalt an. Keiner wusste, wie mit diesem Wesen zu verfahren war. Gut, man konnte ihm den goldenen Dolch in den geborgten Leib rammen. Doch das musste ich um jeden Preis verhindern, denn dieser Leib war mir sehr ans Herz gewachsen, um es mal so zu sagen. Nur über meine Leiche.
Ich ging langsam, Schritt für Schritt, auf das Wesen zu.
„Gray-Mädchen, was tust du da?“, stieß Kraven knurrend aus.
„Ich bin keine Gray mehr“, informierte ich ihn. „Dieser Teil von mir ist vorhin gestorben. Alles andere lebt.“
Überrascht sah er mich an. „Ja, ich dachte eben schon, dass du irgendwie anders bist.“
Ich war keine Gray mehr, aber ich war immer noch ein Nexus. Ich besaß immer noch die Kräfte des Himmels und der Hölle, die siebzehn Jahre lang in mir geschlummert hatten. Und ich hatte bereits herausgefunden, dass ich Engel und Dämonen, die mich bedrohten, abwehren konnte.
Dieser Engel hatte zwar keinen eigenen Körper, aber ich würde dennoch versuchen, ihn abzuwehren. Und zwar so, dass er wieder im Schwarz landete!
Ich packte Bishops Handgelenk.
„Nicht, Samantha!“, rief der echte Bishop voller Panik.
Ich schaute ihm tief in
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