Gray Kiss (German Edition)
Kopf zu mir, und seine Augen glühten einen Moment lang rot. „Da hat wohl jemand ein bisschen recherchiert.“
Aha, ich hatte also einen wunden Punkt getroffen. Ich veränderte meine Sitzposition, und der Gummisitz quietschte. „Das scheint dir gar nicht peinlich zu sein.“
„Wieso sollte es?“
Fast hätte ich gelacht. „Hallo? Ein Grabräuber? Dafür könnte man sich schon schämen.“
„Tote.“ Kraven zuckte die Achseln. „Was brauchen sie das Zeug, mit dem man sie verbuddelt? Wir brauchten es nötiger.“
„Wart ihr arm?“
Er antwortete nicht sofort. „Sagen wir so: Wir waren unterprivilegiert.“ Er musterte mich neugierig. „Woher weißt du das überhaupt?“
„Ich weiß es eben.“
Verächtlich schnaubte er. „Wie kryptisch. Normalerweise fände ich das gut - aber nicht, wenn du in Sachen aus meiner Vergangenheit eingeweiht bist.“
Ich war also auf eine Goldader gestoßen, sieh an. Und jetzt konnte ich nicht mehr aufhören zu graben. „Du und er … Ihr habt euch gut verstanden. Du wolltest ihm helfen, dass er wieder sehen kann.“
Sein amüsierter Blick verschwand. „Das hätte ich fast vergessen.“
„Hast du ihm geholfen?“
„Kann er heute sehen?“
Ich fing an, nervös mit einer Haarsträhne zu spielen. Zu Hause hatte ich sofort den Pferdeschwanz aufgemacht. „Ich schätze, als Engel ist man von seinen ursprünglichen Makeln befreit.“
„Schätzt du das, ja?“ Langsam wurde er sauer.
Ich senkte die Stimme. Schließlich wollte ich nicht, dass jemand von den anderen Fahrgästen uns hörte. „Ich weiß, dass er dich umgebracht hat, aber das ergibt doch alles keinen Sinn. Warum hat er das gemacht? Ich habt euch doch umeinander gesorgt.“
Er stand auf, sowie der Bus an der nächsten Haltestelle stoppte. „Schade. Unterhaltung beendet.“
Ich folgte ihm aus dem Bus und rannte neben ihm her. So einfach wollte ich ihn nicht davonkommen lassen. „Er hat dich getötet und in die Hölle geschickt. Das hat er mir selbst erzählt. Letzte Nacht konnte ich seine Erinnerungen sehen, ich drang in seine Gedankenwelt ein. Ich erlebte seine Gedanken wie meine. Das hat ihn so erschreckt, dass er verschwand.“
Ungläubig schaute Kraven mich an. Wenn er mich hätte loswerden wollen, hätte er mit seinen langen Beinen nur losrennen müssen. „Das glaube ich gern.“
„Er war damals erst fünfzehn. Ihr habt für jemanden gearbeitet, der sich Kara nannte. Ihr habt die Leichen an ein medizinisches Institut verscherbelt und die Juwelen behalten, um Bishops Operation zu bezahlen. Und du …“ Ich versuchte, mich zu erinnern. „Du trugst eine Kette mit einem goldenen Kreuz um den Hals. Fast so, als ob du religiös warst.“
Kraven war ein Abbild seines Bruders. Er sah mich genauso an wie Bishop letzte Nacht. „Ich würde an deiner Stelle jetzt lieber den Mund halten, Gray-Mädchen.“
Wie bitte? Ich hatte gerade erst angefangen. Ich hatte einen Lauf. Jetzt oder nie. Es gab da eine Verbindung - und ich musste dahinterkommen. „Bishop hat seinen Namen geändert, weil er nicht mehr an die Vergangenheit erinnert werden will. Und Kraven ist dein Nachname, habe ich recht?“ Es war nur ein Schuss ins Blaue, aber … „Und James ist dein Vorname. Weil du deinen Nachnamen benutzt, heißt das, du verleugnest deine Vergangenheit nicht. Du erinnerst dich an alles. Also, erzähl mir was. Irgendwas.“
„Wieso?“ Er klang traurig. „Damit du ihn besser verstehen kannst? Tut mir leid, ich habe nicht gerade Lust darauf, dir den Weg zu deiner wahren Liebe zu ebnen, Süße.“
Wahre Liebe? In meinen Träumen vielleicht. Nur war ich leider keine Träumerin, sondern Realistin. „Du machst Witze, oder? Er ist seit ewigen Zeiten als Engel unterwegs. Ein Todesengel, ein Auftragsmörder. Wie könnte ich nur im Entferntesten davon ausgehen, dass jemand wie er an mir interessiert sein könnte? Jedenfalls über das hinaus, was seine … ungelegene Sucht angeht?“
„Interessante Wortwahl.“
„Ich bin gestern in seinen Verstand eingedrungen und habe alles gehört. Wenn er irgendwas für mich empfindet, ist das nur das Resultat des bizarren Bandes, das ihn mit der Gray, die ihn attackierte, zusammenhält.“
„Ja. So was hat er gesagt. Eine praktische Erklärung, findest du nicht? Aber wenn das wirklich alles ist, was zwischen euch ist, müsste das doch eine Befreiung für dich sein.“ Er stöhnte. „Du hast echt größere Probleme als das, ob mein kleiner Bruder auf dich abfährt oder
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