Gray Kiss (German Edition)
nicht. Und noch größere, wenn du deine fehlende Seele nicht bald findest.“
Ich blieb stehen und schaute mich um. Ich versuchte, mich zu orientieren. „Wo sind wir überhaupt?“
Offensichtlich waren wir im Ostteil der Stadt, wo kaum jemand wohnte. Näher an meinem Zuhause. Das war nicht die Bushaltestelle gewesen, an der ich hatte aussteigen wollen. Wir waren viel weiter gefahren, das fiel mir erst jetzt auf. Ich hatte meine Haltestelle verpasst.
Und da sah ich etwas, das ich kannte. Auf dem Rasen vor einem riesigen Haus mit einem großen Grundstück stand ein Verkaufsschild mit dem Namen der Firma meiner Mutter.
„Zu verkaufen“, meinte Kraven und musterte mich, während ich das Anwesen betrachtete. „Sieht teuer aus.“
„Ich frage mich, ob das das Haus ist“, murmelte ich und blickte durch das schmiedeeiserne Tor zum Ende der Auffahrt. „Meine Mutter hat gesagt, sie kriegt es nicht verkauft.“
Plötzlich überkam mich eine heftige Hungerattacke. So stark wie nie zuvor. Ich stürzte zu Boden und schlug mir die Knie auf. Ich kriegte keine Luft mehr und klammerte mich an den Eisenstäben fest, um nicht komplett zusammenzusacken.
Kraven sah mich vorsichtig an. „Was ist denn auf einmal los mit dir?“
„Ich kann nicht …“ Mühsam versuchte ich, wieder normal zu atmen und zu denken, aber es ging nicht. Ich zitterte von oben bis unten. Es fühlte sich an, als wäre jemand in mir drin, eine tobende Bestie, die mich nicht denken ließ, sondern mir nur ein unfassbares Hungergefühl verursachte, das ich niemals würde befriedigen können. Normalerweise spürte ich nur ein dürftiges Abbild dessen.
Wenn ich nicht bald etwas zu essen bekam, würde ich sterben.
Das war der einzige klare Gedanke, zu dem ich fähig war.
War das der Zustand, vor dem Stephen mich gewarnt hatte? War das schon die Stase?
Ich bewegte mich, allerdings nicht aus eigenem Antrieb. Es dauerte einen Moment, bis ich begriff, was mit mir geschah. Kraven hatte mich hochgehoben, über seine Schulter gelegt und rannte so schnell er konnte mit mir von diesem Haus weg. Er setzte mich erst wieder ab, nachdem wir mehrere Blocks entfernt waren, in der Nähe von ein paar Geschäften.
Ich stand mit zitternden Beinen vor einem italienischen Restaurant. Durch die Glasfenster konnte ich rote Tischdecken und die Menschen, die zusammen aßen, Wein tranken und sich amüsierten, erkennen.
Es half, weg von dem Haus zu sein, doch mein Hunger war immer noch da. Leute gingen an uns vorbei, auf den Eingang des Restaurants zu, ein Mann und eine Frau. Als Kraven mich losließ, rannte ich sofort auf die beiden zu. Ich hatte mich nicht unter Kontrolle.
Blitzschnell packte Kraven meinen Arm und hielt mich fest, bis die beiden im Restaurant verschwunden waren.
Ich zischte ihn an wie eine wütende Schlange.
„Nett“, sagte er und zog mich zur Seite, neben das Gebäude, wo wir unbeobachtet waren. „Siehst du? Genau das ist es, was ich von einem Gray erwarte. Aber nein, du bist ja vollkommen unschuldig. Von dir geht keine Gefahr aus. Und das macht meinen Job so kompliziert.“
„Wirst du mich jetzt töten?“, fragte ich keuchend. „Das wäre besser. Denn ich habe im Moment einen solchen Hunger, dass ich jemanden angreifen werde. Ich habe mich nicht im Griff.“
„Ist klar. Ich bringe dich um, weil du mal kurz ausgerastet bist. Wenn ich das tun würde, hätte mir mein kleiner Bruder schon deine Initialen in die Milz geritzt, bevor er mir den Kopf abhaut.“
Ich presste die Hände an die Schläfen. Ich hatte irrsinnige Kopfschmerzen und der Hunger kam in Wellen, immer wieder. Ich konnte mich kaum auf den Beinen halten.
Ich wimmerte. „Ich hasse das. Ich hasse das so sehr.“
„Ja, ich auch.“ Er klang nicht glücklich. Dann schnappte er sich meinen Arm und presste mich eng an seine Brust. „Was soll‘s? Es hat schon einmal funktioniert, warum nicht auch ein zweites Mal?“
Und im nächsten Moment küsste er mich.
14. KAPITEL
Fragt mich nicht, wie es funktionierte, aber das tat es. Ich küsste den Dämon, und die Vorstellung, mich von ihm zu nähren, konnte mein inneres Monster täuschen. Es war fürs Erste besänftigt.
Kraven drückte mich fest an sich, damit ich stillhielt. Meine Arme hingen schlaff herunter, und er musste sich bücken, damit wir in etwa gleich groß waren.
Ich erwiderte verzweifelt seinen Kuss. Eine andere Wahl hatte ich nicht. Das war keine bewusste Entscheidung, das war reine Notwendigkeit. Und langsam, ganz
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