Grazie
Singammer«, sagte Monroe.
Susan holte ihr Notizbuch hervor und schrieb es auf. »Sie
können nur anhand des Nestes die Vogelart feststellen?«, fragte sie.
Für sie sahen Nester alle gleich aus.
Monroe nickte. »Ja, natürlich«, sagte er. »Sehen Sie, wie es
geformt ist? Wie eine Tasse? Man sieht die grobe äußere Schicht aus
abgestorbenen Gräsern und Unkrautstängeln.« Er berührte die Außenseite
des Nests. »Ein paar kleine Wurzeln und Rindenstücke. Wenn Sie hier
schauen, sehen Sie, wie es mit feinerem Gras und Haar ausgekleidet ist.«
»Mich interessiert das Haar«, sagte Archie.
»Manche Vögel polstern ihre Nester damit. Es ist ungewöhnlich,
kommt aber durchaus vor.«
»Und wo kriegen sie es her?«, fragte Henry. »Aus der Mülltonne
eines Friseurs?«
Monroe runzelte die Stirn. »Mülltonne? Unwahrscheinlich. Wenn
Sie sagen, das Nest wurde hier gefunden, dann stammt das Haar aus der
näheren Umgebung. Vögel fliegen nicht weit für ihr Nistmaterial. Die
meisten Nester werden in wenigen Tagen gebaut. Sie hätten nichts davon,
weite Strecken dafür zurückzulegen.« Monroe blickte den Hügel hinauf.
»Nein, dieses Haar stammt aus dem Wald hier. Ich würde sagen, aus einem
Umkreis von dreihundert Metern.«
Susan spürte eine Gänsehaut auf ihren Armen.
»Haben Sie eine Vorstellung, wie alt das Nest ist?«, fragte
Archie.
»Höchstens ein, zwei Jahre.«
»Woher wissen Sie das?«
»Weil Nester zerfallen«, erklärte Monroe. »Wenn es nicht so
wäre, würden wir hier kniehoch in ihnen stehen.«
»Wir müssen also nichts weiter tun, als dreihundert Meter in
jede Richtung suchen«, sagte Archie.
Henry stöhnte. »Das sind einige Fußballfelder.«
»Vielleicht sollten wir einen Bergungstrupp rufen«, sagte
Archie.
Henry sah ihn eine Weile an, dann zog er sein Handy aus der
Halterung am Gürtel und begann zu wählen. »Vielleicht fordere ich auch
noch einen Leichenspürhund an«, sagte er.
Susan sah, wie Archie lächelte.
»Gute Idee«, sagte er.
_10_
D er pochende Schmerz in Archies Unterleib
war wieder da. Es regnete unaufhörlich. Alle sahen verschmiert aus.
Ihre Schuhe saugten sich am Boden fest. Alle waren durchnässt. Archie
fühlte bei jedem Schritt den kalten Matsch in seinen Socken. Die
schlammverkrustete Hose schlug ihm an die Waden. Das Haar klebte ihm
auf der Stirn. Wenigstens hatte er die Geistesgegenwart gehabt, das
Buch hinter einem Baumstamm zu verstecken. Das Letzte was er gebrauchen
konnte, war, dass Henry ihn mit einem verschlammten Exemplar von Das
letzte Opfer durch den Wald spazieren sah.
Archie konzentrierte sich auf den kleinen Lichtkreis, den
seine Taschenlampe auf den Waldboden warf, und richtete seine Gedanken
auf die aktuelle Aufgabe.
Es ging langsam voran. So weit das Auge reichte, war alles
einen Meter hoch von Efeu und Winden bedeckt. Archie fing auf einer
Seite an und ließ den Lampenstrahl dann langsam, Zentimeter für
Zentimeter über das Blätterdach wandern, anschließend ging es in die
andere Richtung. Henry war links von ihm, ein Streifenpolizist rechts.
Ein weiterer Streifenbeamter und vier freiwillige Helfer arbeiteten auf
einer Linie in die entgegengesetzte Richtung. Selbst der Ornithologe
hatte eine Taschenlampe bekommen. Bisher hatten sie einen halb von
Ameisen gefressenen toten Vogel gefunden, eine leere
Mineralwasserflasche und Hundekot.
Susan hatte sich ebenfalls eine Taschenlampe geben lassen,
aber sie hielt sie mit den Zähnen, damit sie wie rasend in ihr
Notizbuch kritzeln konnte. Archie wollte, dass sie einen Artikel
schrieb. Er hatte noch immer keine Spur, die zur Identität seiner
unbekannten Toten führte, und die Berichterstattung in den lokalen
Medien hatte sich bisher auf einen einzigen Absatz im Lokalteil des Herald beschränkt. Er brauchte Presseberichte, je mehr, desto besser.
Links. Vor. Rechts. Danach kniete Archie im Schlamm und Dreck
und zog Efeu und Winden beiseite, um zu sehen, was darunter war. Die
nassen Ranken waren schwer und unangenehm zu bewegen, und Archies Hände
sahen bald aus, als wäre er lebendig begraben gewesen und hätte sich
mit bloßen Händen wieder ans Licht gearbeitet.
»Das ist lächerlich«, hörte er Henry sagen.
Es stimmte. Sie konnten morgen früh wiederkommen. Falls eine
Leiche hier draußen lag, würde sie in zwölf Stunden auch noch da sein.
Aber Archie musste es wissen. Wenn hier eine tote Frau lag, musste er
sie finden. Er würde die ganze Nacht nach ihr suchen. Es war auf jeden
Fall leichter,
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