Green, Simon R. - Todtsteltzers Erbe
ist mir egal.«
»Mir ist es auch egal«, sagte Jesamine. »Ich liebe
dich, Lewis. So viele Jahre sind vergangen, aber du
bist der Einzige, um den ich je geweint habe. Der
Einzige, aus dem ich mir je etwas gemacht habe.«
»Du verkörperst alles, was ich mir je gewünscht
habe, Jes. Alles, was ich je von der Liebe erwartet
habe. Typisches Todtsteltzer-Glück. Mich in die eine
Frau zu verlieben, die ich niemals haben kann?«
»Niemals? Lewis …«
»Nein, Jesamine, hör mir zu: Einer von uns muss
stark sein. Stark genug, um das Richtige zu tun. Du
wirst meinen besten Freund heiraten. Alles ist vorbe
reitet. Die ganze Menschheit wünscht sich diese
Hochzeit. Douglas wünscht sie sich, und ich würde
eher sterben, als ihm wehzutun. Du wirst seine Köni
gin sein. Das Imperium braucht dich.«
»Ich brauche dich, Lewis! Hat das keine Bedeu
tung? Heißt das gar nichts?«
»Es heißt alles«, sagte Lewis. »Aber wir dürfen
ihm kein Gewicht beimessen. Ich gehe weg. Heirate
Douglas und sei glücklich, Jesamine.«
»Lewis … ich kann nicht …«
»Du musst. Ich könnte dich nicht halb so lieben,
liebte ich die Ehre nicht mehr«, sagte Lewis Todt
steltzer. »Weder kann noch werde ich meinen Freund
und König verraten.«
»Es ist nicht fair. Es ist nicht fair!«
»Nein, das ist es nicht. Lass mich gehen, Jes. Lass
mich gehen, solange ich noch die Kraft dazu finde.«
»Wohin? Was hast du vor?«
»Ich weiß nicht. Oh Gott, ich weiß gar nichts
mehr!«
Sie umarmten sich aufs Neue, gestanden sich eine
Zeit lang leise ihre Liebe und gaben sich schließlich
zärtliche Abschiedsküsse. Und so trafen Douglas und
Anne sie an.
Eine ganze Weile lang standen beide nur da und
sahen schweigend zu, und dann sprach Douglas Jesamines Namen. Seine Stimme klang in der Stille der
verlassenen Krankenstation sehr laut. Lewis ließ Je
samine sofort los und drehte sich rasch um. Jesamine
hielt ihn noch einen Augenblick länger fest, die Au
gen geschlossen, als könnte sie so leugnen, was ge
schah. Dann setzte sich der ihr eigene Sinn für Dis
ziplin durch, und sie gab Lewis frei. Von jeher konn
te sie stark sein, wenn es nötig wurde. Sie blickte
sich ohne Eile um, das Gesicht ruhig und gefasst,
obwohl nichts die verquollenen Augen oder das rui
nierte Make-up zu tarnen vermochte. Lewis stand auf
und zeigte sich dabei nur ein klein wenig unsicher.
Er trat einen Schritt auf Douglas zu und blieb dann
stehen, gebannt vom Ausdruck im Gesicht des
Freundes. Jesamine warf Anne einen anklagenden
Blick zu, aber Anne schüttelte leicht den Kopf. Sie
hatte Douglas nichts von dem erzählt, was sie schon
zuvor gesehen hatte.
»Lewis«, sagte Douglas, und seine Stimme klang
so flach, so leer, dass sie einer Ohrfeige gleichkam.
»Was hast du getan, Lewis? Ich habe dich losge
schickt, um einen Aufruhr zu stoppen, nicht dabei
mitzumachen. Was hast du eigentlich gedacht, was
du da tust? Wie viele Menschen hast du umgebracht?
Weißt du es überhaupt? Ich habe dich zu meinem
Champion berufen; es ist wichtig, dass du jederzeit
als unparteiisch giltst. Sobald klar wurde, dass die
Leute nicht auf dich hören würden, hättest du dich
zurückziehen müssen, statt die Waffen gegen Zivilis
ten zu ziehen. Du hast wie ein Schlächter ausgese
hen. Mein Schlächter.«
»Diese Zivilisten haben Paragone umgebracht«,
wandte Lewis ein und erwiderte Douglas’ Blick fest.
»Sie hätten auch mich umgebracht. Sie haben sich
jede erdenkliche Mühe gegeben.«
»Du hast eine schlimme Lage noch verschlim
mert«, sagte Douglas. »Ich musste mich an die Über
seele wenden, damit sie den Aufruhr beendete. Gott
weiß, was die Esper im Gegenzug fordern werden.
Alles nur, weil du mich enttäuscht hast, Lewis.«
»Was sollte ich denn machen? Sie waren allesamt
verrückt geworden! Ich kann nicht jedes Mal ein
Wunder wirken!«
»Was nützt du mir dann?«, fragte Douglas kalt.
»Ich muss mich auf dich verlassen können, Lewis.«
»Das kannst du! Du weißt, dass du es kannst,
Douglas. Du weißt … dass ich das Richtige tue.«
»Ich weiß gar nichts mehr! Ich war bereit, die
Krone für dich aufzugeben, Lewis, und dann komme
ich her und ertappe dich dabei, wie du …« Douglas
sah zum ersten Mal Jesamine an. »Wie kann ich leis
ten, was von mir erwartet wird, wenn ich niemandem
mehr trauen kann?«
Er drehte sich unvermittelt um und stolzierte aus
der Krankenstation, aufrecht, erhobenen Hauptes, aber
sein Gesicht konnten sie nicht mehr sehen.
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