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Greifenmagier 1 - Herr der Winde

Greifenmagier 1 - Herr der Winde

Titel: Greifenmagier 1 - Herr der Winde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neumeier Rachel
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Lager sichtbar wurde; sein verblüffter und alarmierter Schrei veranlasste Kes, die Augen zu öffnen. Sie schritt kräftiger aus, bis sie an Opailikiitas Seite war, und legte der Greifin die Hand auf den schmalen Hals, der unter den weichen Federn so harte Muskeln aufwies. Besorgt sagte Kes: »Wenn sie Pfeile abschießen ...«
    Dann musst du sie abfangen, erwiderte Opailikiita ein wenig atemlos. Sie bewegen sich durch die Luft, sie fliegen, sie gehören der Luft an. Du kannst sie mit Feuer einfangen, wenn du schnell bist, oder sie mit dem Wind abwenden. Vergiss nicht, Menschen stellen sie her, also werden sie dich zu treffen versuchen. Ein Wind muss sehr stark sein, um sie abzuwenden.
    Kes hatte schon Pfeile verbrannt; sie wusste, dass sie schnell genug sein konnte, um sie mit Feuer einzufangen. Falls nicht zu viele Pfeile abgefeuert wurden. Aber was, wenn das geschah? Wenn ein Pfeil Opailikiita traf, dachte Kes, würde sie die Greifin heilen können. Was jedoch, wenn ein Pfeil sie selbst traf? Oder Jos? Ihre Schritte wurden langsamer. Es wäre so viel leichter, einfach umzukehren ...
    »Sie schießen nicht«, stellte Jos fest und legte ihr eine Hand auf die Schulter. Er wollte sie mit seinen Worten und der Geste beruhigen, wie sie nur zu gut wusste. Es fühlte sich jedoch an wie ein Druck gegen ihren Rücken, der sie vorwärtstrieb.
    Dem Soldaten hatten sich inzwischen weitere angeschlossen, erst einige wenige, dann kamen immer mehr. Die Rufe legten sich jedoch. Die Männer trennten sich in zwei Gruppen, eine auf jeder Seite des voraussichtlichen Weges, den Opailikiita erzeugen würde. Bald waren die drei nahe genug, sodass Kes die Bögen in den Händen einiger Männer und die Speere in den Händen der anderen erkennen konnte.
    »Man sieht, dass sie uns den Weg in ihrer Mitte freihalten«, erklärte Jos. Erneut vermochte er mit seiner tiefen Stimme Kes nicht zu beruhigen, sondern sie hörte darin eine Warnung.
    »Ist der König da?«, fragte sie besorgt. Sie wusste nicht, was sie tun würde, falls sie den König nicht antraf. An wen sonst sollte sie sich wenden? Wer überbrachte dem König womöglich ihre Worte, und klangen sie wohl noch überzeugend aus dem Mund eines anderen?
    Klangen sie denn aus ihrem Mund so?
    Jos blickte forschend nach vorn. »Gleich dort, denke ich.«
    Kes betrachtete den Mann, auf den ihr Freund hinwies: Er stand zwischen den beiden Reihen bewaffneter Soldaten in Gesellschaft einiger weiterer Personen. Er wirkte grimmig, gebieterisch und selbstsicher - und somit durch und durch einschüchternd. Er ähnelte einem Löwen, dachte sie, mit seinem breiten Gesicht, der selbstbewussten Miene, den muskulösen Armen und sonnengebleichten Strähnen im dichten lohfarbenen Haar. Er trug keine Krone, wirkte aber trotzdem sehr königlich.
    Und was sah dieser Mann, wenn er Kes anblickte?
    Sie und ihre beiden Gefährten gingen ein Stück weiter vor. Die vordersten Soldaten waren jetzt so nahe, dass sie Opailikiita mit den Speeren hätten berühren können. Sie taten es jedoch nicht, sondern standen reglos in geraden Reihen, die Speere zu ihren Füßen aufgepflanzt und die Augen stur geradeaus gerichtet - abgesehen von einigen kurzen, verstohlenen Blicken, die voller Faszination auf die Greifin sowie auf Kes und Jos gerichtet waren.
    Der König, dem sie inzwischen ganz nah gekommen waren, stand ebenfalls geduldig da. Ein Mann hatte sich neben ihn gestellt - nicht Bertaud jedoch, was Kes schade fand, da sie Bertaud viel mehr vertraut hätte als diesen Fremden. Auf einem Stuhl saß eine sehr alte Frau, die von weiblichen Bediensteten umgeben war. Die Alte hielt die Augen geschlossen, wandte Kes jedoch das Gesicht mit einer Aufmerksamkeit zu, die über bloßes Sehen hinausging. Eine plötzlich auftretende Abneigung verriet Kes, dass diese Frau eine Magierin sein musste, vor deren starker Aufmerksamkeit das Mädchen voller Unbehagen zurückzuckte.
    Opailikiita blieb stehen und legte sich in den Sand, den sie mitgebracht hatte. Ihr Schnabel stand leicht offen, und sie atmete in kurzen, flachen Zügen. Kes legte ihr die Hand auf die Schulter, bat sie so um Verzeihung, und warf einen verzweifelten Blick entlang des schmalen Wüstenstreifens zurück, den die Greifin erzeugt hatte. Dann wandte sich Kes langsam und widerstrebend dem König zu.
    Er wirkte streng, fand sie. Abweisend. Sie fragte sich, ob er je lächelte. Jetzt, wo sie so dicht vor ihm stand, sah sie, dass seine Augen dunkel waren: nicht unauslotbar

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