Greifenmagier 1 - Herr der Winde
Entscheidungen, von denen er ohnehin möchte, dass ich sie treffe. Ist das richtig?«
Nein, antwortete die Greifin entschieden.
»Hilfst du mir dann«, fragte Kes, »die Wahl zu treffen, die ich treffen möchte?«
Ja. Wenn du mich bittest. Du darfst mich darum bitten.
Kes rappelte sich auf. Sie stand an der Kante der Klippe, am Rand des freien Raumes; sie blinzelte und starrte dorthinein, suchte nach den Schichten aus Wärme und Bewegung, die ein Greif sah. Doch so sehr das Feuer auch in ihre Augen eingedrungen war, Kes nahm nur den Raum wahr - und im Westen den Dunstschleier aus aufgewirbeltem Staub. Dort befand sich der König. Sie gestattete sich nicht, an ihn zu denken. Sie dachte nur an die Wüste, die rote Felswand und den schwindelerregenden Absturz in den freien Raum. Und an Opailikiita, die ihre Freundin und Schwester war und sich auf Raum und Bewegung verstand.
Jos stand auf und näherte sich Kes einen Schritt weit. »Mich auch.«
»Natürlich!«, sagte Kes überrascht und streckte die Hand nach ihm aus.
Und die Welt verschob sich rings um sie.
Der Rand der Wüste war eine scharfe, saubere Trennlinie. Im Rücken hatten sie roten Sand und Hitze: eine strenge Pracht, die von einer gnadenlosen Sonne an einem Himmel beherrscht wurde, der hart und strahlend weiß war. Vor ihnen jedoch erstreckten sich weiche Tönungen von Grün, Grau und Braun die sanften Abhänge hinab bis zum kräftigeren Grün entlang dem Fluss. Das Licht selbst lag sacht auf dem jungen Grün der Weiden und des Waldes, und der Himmel vor ihnen war von weichem, zartem Blau.
Das Lager des Königs war nicht zu sehen. Kes konnte an den Formen der Landschaft erraten, wo die Straße verlief; anhand des Staubes und des fernen Lärms vieler Menschen erkannte sie, dass ein großes Heer dieser Straße in einer langen Kolonne folgte.
Und sie wusste, auch ohne es auszuprobieren, dass sie nicht den Fuß vom einen Land in das andere setzen konnte. Kairaithin hatte die Grenze der Wüste in ihren Gedanken verankert oder in ihrem Herzen. Sie war nicht in der Lage, sie zu überqueren.
Selbst wenn sie den König finden würde, hörte er ihr vermutlich nicht zu - warum sollte er auch? Er war, anders als Jos, nicht ihr Freund. Eigentlich hatte es, wie Kes dachte, nicht viel Sinn, auch nur den Versuch zu wagen und ihn anzusprechen. Sie konnte im Grunde in die stillen Weiten der Wüste zurückkehren, neben Opailikiita und Jos auf einer hohen Klippe sitzen und die Ereignisse verfolgen; und sie konnte wirklich, wirklich überhaupt nichts an irgendetwas davon ändern.
Sie seufzte. Dann sagte sie zu Opailikiita: »Ich kann die Wüste nicht verlassen, aber du kannst sie bewegen.« Sie streckte beide Hände aus, als versuchte sie, die Wüste vorwärtszuschieben. »Wenn die Wüste den König erreicht, kann ich mit ihm sprechen, auch ohne dass ich Kairaithins Grenze durchbreche.«
Ja, erwiderte Opailikiita.
»Ich weiß, dass es schwer sein wird«, hob Kes hervor; ihr Tonfall klang entschuldigend. Die Greifen schufen die Wüste aus dem eigenen Herzen; der Wüstenwind wehte durch ihre Seelen in die Welt hinaus. Kes wusste nicht, woher sie die Kühnheit nahm, Opailikiita zu bitten, sie möge das eigene Selbst und die eigene Kraft in eine Aufgabe investieren, die ihr nicht einmal gefiel - die sich vielleicht gar als gefährlich für sie erwies. Kes wollte schon sagen: Nein, vergiss es, mach dir nicht die Mühe; kehren wir in die Hochlandwüste zurück und lauschen der Sonne, wie sie auf rotes Gestein trifft - und was immer geschieht, soll es doch geschehen.
Ehe sie die Worte jedoch aussprechen konnte, hatte Opailikiita schon die Schwingen halb ausgebreitet und beugte sich vor. Ein heißer Wind blies an ihr vorbei oder, besser gesagt, aus ihr hervor; er stammte aus dem Schatten unter den Schwingen und bewegte das grüne Gras der Wiese. Es verdorrte unter diesem welken Hauch, und das war ein verstörender Anblick. Sand blies sachte über die drei hinweg und fing sich an den vergilbenden Grashalmen. Die Sonne schien mit Macht, und das Gras starb, zerbröckelte und wurde vom staubtrockenen Wind fortgeweht.
Opailikiita trat einen Schritt weit vor. Und noch einen.
Hinter ihr fluchte Jos leise und inbrünstig.
Kes schloss die Augen und folgte Opailikiita blind. Sie brauchte nicht hinzusehen, wo sie entlangging: Sie schritt durch die Wüste, und der Weg blieb stets derselbe, egal wohin sie den Fuß setzte.
Ein Soldat Farabiands entdeckte sie, ehe das eigentliche
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