Greifenmagier 1 - Herr der Winde
Menschen. Auch wenn die Wüste selbst unser Element ist und für uns kämpft und unsere Macht trägt, so sind trotzdem noch die Erdmagier da, um uns zu behindern. Dennoch wirst du heute erleben - sobald der Arobarn den Sand erreicht -, wie die Wüste unser Bundesgenosse und unser Werkzeug ist, wo wir doch über keine andere Gabe des Herstellens verfügen. Sie klang grimmig, freudig und stolz; sie klang, als freute sie sich auf die Schlacht.
»Bist du sicher, dass ... die Casmantier die Wüste betreten werden?«
Du etwa nicht? Ja, kleine Schwester, sie werden kommen. Du siehst ja, wie der Safiad seine Leute aufgestellt hat - so, dass sie durch einen Angriff aus den Bergen verwundbar scheinen. Die Casmantier werden das auch sehen und diese Gelegenheit ergreifen wollen, wie ein Pfeil im Flug sich zu seinem Ziel hingezogen fühlt. Gut, dass du bei uns bist, meine schöne Schwester, denn ohne dich wäre mein Volk so verwundbar wie die Menschen Farabiands.
Tief unter ihnen hoben Männer gebogene Messinghörner; und lange goldene Töne wälzten sich durch die Wüste. Soldaten hielten an und wendeten; Speerspitzen sanken und stiegen blitzend wieder hoch. Im Zentrum jeder Formation hoben Soldaten Bögen mit blitzenden Silbersehnen und legten Pfeile an. Erneut dröhnten Hörner mit satten und weichen Tönen, die für Kes nach bedächtigen Sommertagen und Erntefesten klangen - doch in keiner Weise nach Krieg.
Über den Menschen zog der fröhliche Eskainiane Escaile Sehaikiu einen langen, grimmigen Feuerstreifen durch die heiße Luft. Esterire Airaikeliu, Herr von Feuer und Luft, dunkler und schrecklicher als sein Gefährte, bog unvermittelt aus einer Spiralbahn ab und folgte seinem Iskarianere im Sturzflug. Er stieß dabei wie ein herabstoßender Falke einen schrillen, durchdringenden Schrei aus, einen Schrei, der Feuer aus der Luft schlug. Über dem König kreischten andere Greifen, legten die Schwingen an und gingen in den Sturzflug über; und Feuer regnete aus dem Wind, der tosend an den langen Flügelfedern entlangstrich.
Unter den Greifen schrien die Menschen erschrocken auf und brüllten scharfe Befehle: Pfeile stiegen wie ein silberner Regen auf.
Kes bedeckte die Augen und beugte sich tief über Opailikiitas Hals.
Nein, sieh hin!, forderte Opailikiita sie auf, und Kes lugte ängstlich zwischen den Fingern hindurch. Die Pfeile erreichten ihre Ziele nicht, sondern gingen im Flug in Flammen auf. Die Greifen stürzten sich wild auf ... den Sand; sie landeten zwischen den Kompanien der Menschen und außer Reichweite der Speere. Ihr Flügelschlag riss roten, staubigen Sand empor, bis Kes nichts mehr deutlich sehen konnte. Männer schrien, und Metall krachte auf Metall: ein entsetzliches Getöse aus Scheppern und gellenden Schreien.
Aber die Speere stachen nicht nach den Greifen, und die Greifen attackierten ihrerseits nicht die Männer. Das Feuer, das über den Sand hinweggepeitscht war, flackerte im steifen Wind und ging aus.
Gut, befand Opailikiita. Sie sind tapfer.
Kes wusste nicht, ob sie damit die Greifen oder die Menschen meinte. Sie selbst fand jedoch, dass die Menschen sehr tapfer waren. Ihre Hörner sangen im dichten Staub, und die langen Töne klangen beherzt und klar.
Casmantium, sagte Opailikiita in einem zufriedenen Tonfall.
Erschrocken blickte Kes in dieselbe Richtung wie die Greifin. Dort, wo die Berge zur Wüste herabsanken, kamen Menschen um eine Biegung aus glattem grauem Gestein zum Vorschein und betraten den roten Sand. Immer mehr Menschen eilten herbei; ihre Zahl schwoll rasch an. Schnell stellten sie sich in geordneten Reihen auf, die sich sofort in Bewegung setzten: Ihre Uniformen waren braun und schwarz, und sie trugen silberne Speere und Bögen, die wie Greifenschnäbel das Licht einfingen.
Sieh nur! Opailikiitas Tonfall drückte noch immer Zufriedenheit aus. Sie denken, der Safiad wüsste noch nichts von ihnen. Möglicherweise denken sie sogar, wir wüssten nichts von ihnen.
»Ja«, erwiderte Kes nervös. Für ihr Empfinden brauchte das casmantische Heer sehr viel Zeit, um durch den Sand zu ziehen und sich den Soldaten Farabiands von hinten zu nähern. Falls Kes dem Greifenmagier und Opailikiita vertrauen konnte, würden sich die Casmantier dort in einer grausamen Falle wiederfinden: einer Falle, die sie selbst gelegt hatten. Trotzdem konnte Kes nicht hinsehen und hielt sich die Augen zu.
Dann jedoch konnte sie es nicht ertragen, blind zu sein, und sah letztlich doch hin.
Die Vorhut
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