Greifenmagier 1 - Herr der Winde
für einen Einsatz wie den gerade besprochenen hätte benennen können. Zwar fand man ein paar junge Magier in Tihannad, aber der eine war zu jung, ein anderer zu unbedacht und der nächste zu ängstlich. Und die einzige Magierin mit mehr Erfahrung und Macht als Daiane war zerbrechlich wie ein Bündel wintertrockene Gerste und außerdem blind.
Daiane runzelte die Stirn und seufzte. »Jugendliche Kraft ist ja gut und schön, Iaor, aber ich vermute, dass reife, voll entwickelte Weisheit eher benötigt wird. Ich bin noch nie einem Greifen begegnet. Doch ich glaube, dass ich daran interessiert bin, das jetzt nachzuholen. Und so oder so möchtet Ihr gewiss nicht warten, bis eine jüngere Person aus Tieranan kommt. Wenn es Euch gefällt, Eure Majestät, gehe ich.«
»Danke!« Der König nickte knapp und wandte sich kurz an Jasand. »General, sucht Eure Männer aus! Hochverehrte Daiane, könnt Ihr übermorgen früh zum Aufbruch bereit sein?« Er nahm das Nicken beider entgegen, entließ General und Magierin und forderte Bertaud mit einem Blick auf zu bleiben.
Bertaud lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und wartete.
»Die hochverehrte Magierin wird also die Reise antreten und ihre Kenntnisse und Weisheit für diese Aufgabe bereitstellen, wie ich schon sagte«, erklärte Iaor. »Doch in Anbetracht ihrer Warnungen möchte ich dich mitschicken, um für mich zu sprechen.«
Bertaud senkte den Blick und hob ihn wieder; er hoffte, dass er nicht erkennbar rot geworden war. Er legte eine Hand auf den Tisch. »Es ehrt mich, dass du mich schicken möchtest, Iaor, aber General Jasand ist erfahrener als ich.«
»Er wird dein Urteilsvermögen mit seinem Rat unterstützen. Dein Urteilsvermögen jedoch ist es, dem ich vertraue.« Der König sprach ernst und in gemessenem Ton: Es war keine impulsive Entscheidung. Selbst wenn Iaor schnelle Entscheidungen traf, waren sie überlegt. »Ich weiß nicht, welche Anweisungen ich dir geben soll. Also muss ich dich einfach darum bitten, so zu handeln, wie ich es an deiner Stelle täte, und zu diesen Kreaturen die Worte zu sprechen, die auch ich sprechen würde. Tust du das für mich?«
Bertaud zögerte nur einen kurzen Augenblick und antwortete dann: »Es wird mir eine Ehre sein, den Versuch zu unternehmen.«
Iaor lächelte kurz: Es war das unerbittliche Lächeln seines Vaters. Zugleich war es sein eigenes, begleitet von einem lebendigen Humor, der dem alten König gänzlich gefehlt hatte. Sowohl Wärme als auch Unerbittlichkeit waren völlig real. Das, überlegte sich Bertaud, machte Iaor zu einem guten König. »Gut, ich unterrichte Jasand und Daiane von meiner Entscheidung. So nutze ich deine Loyalität aus, mein Freund, wie ich es stets tue.«
»Das ist nicht möglich, mein König«, antwortete Bertaud leichthin, doch hinter dem lässigen Ton verbarg sich die Wahrheit.
Die breite Straße, auf der sie Tihannad verließen, war mit großen, flachen Steinen gepflastert und führte an der Stelle, wo der kleine Fluss Sef aus dem Niambesee rann, über eine Brücke. Am anderen Ufer bestand die Straße nur noch aus fester Erde, aber sie war weiterhin breit. Sechs Menschen konnten bequem nebeneinander hergehen oder vier nebeneinander reiten oder einer hoch zu Ross neben einem Wagen reisen - was nicht bedeutete, dass die heutige Reisegesellschaft irgendeinen Wagen mitgeführt hätte. Alle waren jedoch beritten: General Jasand hatte seine Leute sorgfältig ausgesucht, und fast ein Fünftel von ihnen wies eine besondere Verbundenheit zu Pferden auf. Somit bestand keinerlei Gefahr, dass die Pferde sich weigerten, in die Wüste vorzudringen, falls Jasand zu der Entscheidung gelangen würde, ein berittener Angriff wäre am erfolgversprechendsten, oder dass sie unter dem Schatten, den Greifenschwingen warfen, scheuten oder gar durchgingen.
»Ich zweifle sehr daran, dass wir letztendlich die Pferde in die Wüste mitnehmen werden; aber ich halte mir gerne viele Möglichkeiten offen«, hatte Jasand gegenüber Bertaud bemerkt. Der Fürst hatte ihm daraufhin zugestimmt und geduldig gewartet, während der General die Männer auswählte, die er für diesen kleinen Vorstoß am besten geeignet hielt. Drei von ihnen besaßen eine spezielle Verbundenheit zu Adlern oder Falken - eine Gabe, die viel seltener war als beispielsweise die Affinität zu Reittieren. Die Männer führten die Raubvögel auf den Schultern mit oder auf Stangen, die hinter den Sätteln montiert waren. »Zur Aufklärung noch besser geeignet
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