Greifenmagier 1 - Herr der Winde
andere, vor allem seinen Stolz verletzt sehen, wenn er von der Tötung seiner Soldaten erführe. »Ich wünschte, es wäre nicht zu dieser Schlacht gekommen!«
Es war ein Tag zum Sterben, warf die Greifin in einem Ton ein, der verriet, dass sie mit diesen Worten Trost spenden wollte.
Sowohl Bertaud als auch Kes sahen sie an.
»Manchmal verstehe ich sie auch nicht«, gestand Kes dem Fürsten. »Die meiste Zeit sogar. Fast ständig.«
Bertaud nickte.
»Aber ... sie hat ein gutes Herz.«
Er verstand, was das Mädchen meinte, und hatte seltsamerweise das Gefühl, dass es sogar recht hatte. Er wusste jedoch nicht so richtig, warum er so dachte. Mit Unbehagen bemerkte er, dass dieses Empfinden dem Impuls ähnelte, den er bei der ersten Begegnung mit Kairaithin verspürt hatte - dem Impuls, mit dem Greifen zu gehen. Einer Kreatur zu vertrauen, von der er wusste, dass sie kein Mensch war, dass sie ganz und gar nicht wie ein Mensch war ... einer Kreatur des Feuers, der Gestalt fremd, die sie trug. Dann hatte Bertaud jedoch allen seinen Impulsen misstraut. Und jetzt ... tat er dies mehr denn je.
Es dauerte jetzt nicht mehr lange bis Sonnenuntergang, dachte er, während er in die Berge hinausblickte, die in der Nähe rot und staubig aufragten. Er schloss die Augen und lehnte sich an die rote Säule neben ihm. Die Bilder von Blut und Tod, die sich in die Dunkelheit hinter den Lidern drängten, versuchte er abzuwehren. Sie blieben jedoch hartnäckig da, sodass er schließlich aufgab und die Augen öffnete. »Warum bei Sonnenuntergang?«, fragte er und wusste dabei nicht einmal, ob er diese Frage an die Greifin oder das Mädchen richtete oder warum er überhaupt dachte, dass eine von beiden die Antwort kannte. Oder ihm antworten wollte.
»Weil die Schatten dann am längsten sind«, erwiderte Kes. Ihre weiche Stimme klang zerstreut. Sie starrte auf die Wüste hinaus. »Weil sich abends der Wind legt. Die Richtung des Windes verändert man am leichtesten, wenn die Luft still ist.«
Bertaud beugte seinen Oberkörper vor und betrachtete Kes forschend. »Komm mit mir, Kes! Sprich persönlich mit dem König! Du ... Ich denke, du wärst sehr überzeugend.«
Der Vorschlag erschreckte sie. Sie machte große Augen. »Ich konnte noch nie ... Oh nein! Nein, Herr, es tut mir leid. Ich konnte noch nie ... Ihr müsst das verstehen, Herr.« Ihre Stimme klang aufrichtig. »Ich konnte noch nie sehr gut ... reden.«
Und wenn sie es sich doch noch anders überlegte, würde Kairaithin es akzeptieren? Bertaud betrachtete sie stirnrunzelnd und lehnte sich erneut an die Säule. Vor ihnen dehnten sich die Schatten immer weiter über Gestein und Sand aus. Die unteren Hänge lagen bereits in Dunkelheit, während die Bergspitzen noch in rotem Licht glommen, als würden sie von innen beleuchtet.
Gerade als Bertaud an Kairaithin dachte, kehrte dieser in die Halle zurück. Er flog aus dem sinkenden Licht hervor, ein Greif von der Farbe leuchtender Glut, dessen Gesicht und Schwingen kohlschwarz waren. Der Schlag seiner Flügel über den leeren Wüstenhimmel entlockte dem Wind, der zu seinem Empfang aufzusteigen schien, eine wilde Musik.
Während der Greifenmagier herabstieß, schrumpfte er. Seine Flügel schlugen ein letztes Mal, wobei der Wind wie Glockengeläut durch die offene Steinhalle klang, und schlossen sich wie ein Mantel um ihn. Der Wind, den er mitgebracht hatte, erstarb und ließ eine Stille zurück, wie sie auf Musik folgte. Unvermittelt wandte Kairaithin den anderen sein Menschengesicht zu. Er trug einen schwarzen Mantel und warf einen langen, tiefen Schatten, geschmolzen wie eingedämmtes Feuer. In den Augen seines Schattens glomm eine vom Feuer heimgesuchte Dunkelheit.
Die Augen des Greifenmagiers wirkten genauso: schwarz, verschlossen, undurchschaubar. Bertaud konnte ihnen nichts entnehmen. Und doch vermochte er ihrem Blick nur unter Schwierigkeiten standzuhalten. Langsam erhob er sich.
Kes stand ebenfalls auf, den Blick scheu gesenkt. Bertaud kämpfte mit der Vorstellung, dass ein so zerbrechliches und schüchternes Mädchen über irgendeine Macht gebieten sollte. Er konnte sich nicht vorstellen, dass sie sich Kairaithin oder dem Greifenkönig entgegenstellte; Bertaud konnte sich nicht einmal vorstellen, dass sie sich irgendjemandem entgegenstellte, der sie auch nur anschrie. Sie wäre nie fähig, ihre Kraft für Farabiand einzusetzen. Sie bliebe kleinlaut in der Greifenwüste, und die Greifen würden sie
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