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Grenzgang

Grenzgang

Titel: Grenzgang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Thome
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anderes plötzlich deine geheimen Träume ausspricht und sie ohne Scheu einen Plan nennt.
    »Aha«, sagt sie. Ein sauerländisch plattfüßiges Aha, untermalt von lediglich gedachten Worten wie ›Stromkosten‹ und der Frage, ob ehemalige Kleiderfabriken wohl betanzbare Böden haben. Duschen.
    »Du hältst mich für verrückt, aber das liegt an deiner ängstlichen Natur«, sagt Karin ungerührt und bekräftigt ihre Worte mit einem Nicken.
    »Bitte?«
    »Oder nicht?« Wieder sehen sie einander an. Karin ist geschminkt, als wollte sie vom Frühstücksplatz aus direkt in die Oper wandern, und Kerstin fragt sich, ob es eigentlich etwas gibt, worin sie beide einander gleichen.
    »Kein Kommentar«, sagt sie. »Aber wenn deine Vorstellung von Zusammenarbeit darin besteht, mir Vorhaltungen zu machen, dann hab ich kein Interesse.«
    »Alles was ich sagen wollte, ist: Ich sehe die Risiken auch, aber ich glaube, dass sie kleiner sind als die Chancen. Und davon abgesehen, befinde ich mich an einem Punkt in meinem Leben, wo das Wort Risiko keinen sonderlich bedrohlichen Klangmehr hat. Was ich bisher für selbstverständlich gehalten habe, ist sowieso hinüber.«
    »Was willst du jetzt von mir hören? Das mit der Firma tut mir leid.«
    »Nein, nein. Ich bin, wenn ich ehrlich sein soll, nicht mal richtig traurig über den Verlust. Beinahe glaube ich, ich hab sogar drauf gewartet, dass so was passiert. Jetzt ist endlich Schluss mit Rotarier-Bällen und diesem ganzen Firlefanz. Jetzt stell ich zur Abwechslung selbst was auf die Beine. Also, lass es dir durch den Kopf gehen, denk darüber nach. Vielleicht fahren wir nach Grenzgang mal zusammen raus, und du schaust dir das Gebäude an.« Sie legt eine Hand auf Kerstins Schulter und fährt ihr über den Nacken, so langsam, dass Kerstin an ein gewisses Hinterzimmer denken muss und Karins nächsten Satz erst gar nicht versteht. »Wusstest du eigentlich, dass die Blumen damals von mir waren?«
    »Die Blumen?«
    »Vor deiner Tür. Die Veilchen zum Geburtstag.«
    »Nein«, sagt sie automatisch und wahrheitsgetreu. »Wusste ich nicht.« Sie hat Durst jetzt und spürt Schweiß unter ihren Armen. Wahrscheinlich dauert es nicht mehr lange, bis die Wettläufer mit ihren Peitschen zum Aufbruch rufen, und sie hat sich vorgenommen, vorher noch bei Thomas Weidmann und seinen Kollegen vorbeizuschauen. Vielleicht liegt es an Karin Preiss, aber ihr ist plötzlich klar, dass sie nicht warten darf, bis der Kerl von sich aus mehr anbietet als Wangenküsse zum Abschied. Sie muss die Sache jetzt in die Hand nehmen, die Sache Weidmann. Schließlich hat sie ihn schon mal in der Hand gehabt, und es fühlte sich nicht schlecht an.
    »Warum solltest du mir Veilchen schenken?«, fragt sie.
    »Ich wusste, dass du Geburtstag hast, und ich hatte dieses Gefühl: dass wir einander … helfen können. Ganz einfach durch Freundschaft. Ich hatte dann bloß nicht den Mut, dir die Blumen selbst zu geben.«
    »Sei ehrlich: Du hattest von Anfang an vor, mich in diesen Club zu schleppen.«
    »Alleine wär ich da nie hingefahren.«
    »Und das nennst du einander helfen.« Es ist nicht mehr Wut in ihr, stellt sie fest, als Luft zwischen zusammengepresste Lippen passt. Sie hat es gewusst und ist froh, es ausgesprochen zu haben, aber eigentlich war es immer so, auch schon mit Anita: Freundschaft gegen Widerstände und mit Gefallen an der Nicht-Harmonie. Also dreht sie den Kopf, küsst Karin Preiss auf die parfümierte Wange und denkt: Nimm das, alte Lesbe.
    Anita ist natürlich nicht zum Grenzgang gekommen. Irgendwo in der Schweiz wird ein interessanteres Fest gefeiert.
    »Ich denk drüber nach«, sagt sie im Aufstehen. Wischt sich mit beiden Händen Grashalme von der Hose.
    »Eins noch: Müssen wir mit Herrn Weidmann sprechen?«
    »Warum?«
    »Er war da, hast du gesagt.«
    »Dich hat er nicht gesehen.«
    »Soll heißen, du hast mit ihm gesprochen?«
    »Kurz.« Ihr Schatten fällt auf Karins Gesicht, und das macht es leichter, dem Blick und der Lüge standzuhalten. Sie schuldet Karin Preiss nichts, das ist klar. Einstweilen erscheint das Wort Freundschaft noch reichlich hoch gegriffen für ihrer beider Beziehung. Vielleicht sollten sie erst mal Kolleginnen werden. Durch dunklen Blusenstoff fühlt Kerstin die Sonne auf der Haut und stellt sich vor, dass Thomas Weidmann von da unten im Getümmel einen Blick auf ihren Hintern wirft.
    »Ich würde ihn sonst anrufen und mich seiner Diskretion versichern.«
    »Nicht nötig.« Hinter ihr

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