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Grenzgang

Grenzgang

Titel: Grenzgang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Thome
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peinlich, den Zettel auf Armeslänge von sich zu halten. Außerdem blockiert Karins Einkaufswagen seinen Weg.
    »Feigling. Siehst du irgendwo Broccoli?«, fragt sie.
    »Da vorne, aber er sieht nicht sonderlich appetitlich aus.«
    »Und jetzt weiß ich’s auch wieder: Ich hab deine Frau beim Einkaufen getroffen, vor sieben Jahren.«
    »Bitte?«
    »Mein Déjà-vu: Als es König’s noch gab unten am Kornacker. Da sind Kerstin und ich uns an der Gemüsetheke begegnet.«
    »Ich schätze, das ist seitdem hundert Mal passiert. Wir sind uns vor zwei Wochen nebenan im Getränkemarkt über den Weg gelaufen.« Wo er es alarmierend fand, dass sie gleich zwei Flaschen Wodka im Wagen liegen hatte, aber Kerstin meint, ihr sei nie was aufgefallen, atemmäßig. Und sie sieht auch nicht aus, als würde sie trinken. Der Eindruck von Verlebtheit entsteht eigentlich nur aus ihrem Bemühen, jünger zu erscheinen, als sie ist. Jetzt schüttelt sie den Kopf und blickt auf einen Punkt in der Ferne, als würde sich von dort aus etwas verstehen lassen, worüber sie schon lange nachgedacht hat.
    »Das meine ich nicht. Wir kannten uns ja damals kaum. Es war das erste Mal, dass wir mehr als ein paar Sätze geredet haben. Und ich hatte diesen Broccoli in der Hand. Halb verdorben.«
    »Und?« Die Unterhaltung beginnt ihn zu nerven. Kerstin wartet, sie müssen nach Frankfurt, und obwohl er es zu verbergen versucht, ist er innerlich genauso nervös wie sie. Seit Wochen vermeidet er es, sich das Wiedersehen mit Daniel en détail auszumalen. Jetzt sind es noch rund drei Stunden bis dahin.
    Irritation manifestiert sich in Form einer senkrechten Falte auf Karin Preiss’ Stirn.
    »Was soll ich mit dir darüber reden. Hätte, wenn und aber ist wahrscheinlich nicht dein Metier.«
    Darüber wäre er gerne in lautes Lachen ausgebrochen. Hätte, wenn und aber stand in großen Lettern auf dem Käfig, in dem er seit Berlin gehaust und aus dem er sich erst vor kurzem befreit hat; leicht geblendet, ungläubig und nicht sicher, ob der Käfig vielleicht nur ein Stück größer geworden ist. Das kommende Wochenende wird auch in dieser Hinsicht ein Test werden, das weiß er so gut wie Kerstin, und darin dürfte ein wesentlicher Grund für die Nervosität der letzten Wochen liegen, seine und ihre. Möglich, dass er sich einer neuen Freiheit erfreut, aber das bedeutet noch nicht, dass sie beide über den Berg sind.
    »Karin, ich hab’s ein bisschen eilig. Kerstin und ich müssen nach Frankfurt, Daniel abholen.«
    »Oh!« Augenblicklich macht sie einen Schritt zurück und hebt die Arme – leicht affektiert, auf eine Art, in der sich die Kränkung verrät gegen alle Anstrengungen des Verschleierns. »Viel Spaß dabei.«
    »Kommt Linda über Grenzgang?«
    »Erst am Samstag.«
    Er hat vergessen, wo Linda wohnt und was sie macht, und will das in diesem Moment auch nicht wissen. Familien mit quengelnden Kindern in Einkaufswagen ziehen an ihnen vorbei Richtung Kühlregal. Seine zwanzig Minuten sind beinahe abgelaufen, und außer Paprika hat er nichts im Wagen.
    »Wir sehen uns am Kommers, oder?«
    »Du hast hoffentlich nicht vergessen, dass du mir einen Tanz versprochen hast. Ich hab mich extra von meiner Geschäftspartnerin unterweisen lassen.«
    »Zieh dir vor allem gute Schuhe an.« Ein Hauch ihres Parfüms weht ihn an, als er weitergeht, und der Blick, den sie zum Abschied tauschen, kommt ihm merkwürdig anzüglich vor. Nach allem, was er von Kerstin weiß, hat Karin Preiss ein paarverzweifelte Affären gehabt in den letzten Jahren, unter anderem mit einem seiner Kollegen, und vielleicht weil er selbst so lange Single war, fühlt er sich ihr jetzt auf unwillkommene Weise verbunden.
    Drei Becher süße Sahne, lautet der nächste Eintrag auf seinem Einkaufszettel. Zügig und mit dem nicht unangenehmen Gefühl unverschuldeter Vergeblichkeit erledigt Weidmann alle Besorgungen auf Kerstins Liste. Sogar Grillanzünder kauft er, obwohl er weiß, dass er damit ihren Sinn für Humor wieder mal verfehlen wird. Zwei Mal winkt er Karin Preiss von einer Kreuzung im Regallabyrinth des Supermarkts aus zu (sie hat keinen Zettel dabei und schlendert in gemächlicher Ziellosigkeit durch die Gänge). Als er seine Sachen aufs Band legt, steht sie blätternd am Zeitschriftenregal.
    Draußen liegt Hitze über dem Parkplatz. Die Sonne unsichtbar am Horizont, der Himmel blau und glänzend. Obwohl es längst zu spät ist, geht er noch einmal seine Liste durch, bevor er sie zusammenknüllt und

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