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Grenzwärts

Grenzwärts

Titel: Grenzwärts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver G. Wachlin
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ist dabei herausgekommen?«
    »Er pflegte Kontakte nach Bogatynia, ein kleiner Ort in Polen.«
    Ich weiß, dachte Schwartz, das Braunkohlekaff gleich hinter der Grenze. Wenn der Wind ungünstig steht und den Staub des polnischen Tagebaus herüberträgt, spricht man in Dittelsdorf vom Bogatyniadreck.
    »Das ist ein Schleppertreff«, sagte Goldenbaum, »die letzte Station vor dem goldenen Europa. Wenn die Flüchtlinge aus Osteuropa oder sonst wo in Bogatynia gelandet sind, glauben sie, sie haben es fast geschafft. Tatsächlich aber geht da das wahre Elend erst los. Familien werden getrennt, die Kinder zum Diebstahl in Deutschland gezwungen, Frauen und Töchter als Prostituierte verkauft.« Goldenbaums Adlergesicht sah plötzlich sehr abgespannt aus. »Fahren Sie mal nach Bogatynia«, forderte er Schwartz auf, »sehen Sie sich um. Das ist ein moderner Sklavenmarkt. Junge Männer und Mädchen erzielen da Höchstpreise. Sie werden einfach verkauft, als Arbeitskräfte oder Prostituierte, sogenanntes Menschenmaterial. Die Betroffenen selbst merken das erst, wenn es zu spät ist.«
    »Welche Rolle hat Kuhnt da gespielt?«, erkundigte sich Schwartz.
    »Er hat dafür gesorgt, dass der Transport über die Grenze reibungslos verlief«, antwortete Goldenbaum, »hat Kollegen geschmiert, damit sie wegsahen, für Weitertransporte ins Landesinnere gesorgt. Und sich dabei dumm und dämlich verdient. Wir wollten ihn unbedingt drankriegen, aber dann …«
    »… hat er sich erschossen«, nickte Schwartz.
    »Hat er das?« Goldenbaum schien es zu bezweifeln. »Sonst wären Sie doch nicht hier.«
    »Was glauben Sie?«
    »Es steckt mehr dahinter, als Sie ahnen«, sagte Goldenbaum. »Denn dass wir Kuhnt nicht vor Gericht stellen konnten, lag weniger an seinem«, er machte mit den Händen zwei Anführungszeichen, »Selbstmord. Sondern an seinen guten Kontakten.«
    »Was wollen Sie damit sagen?«
    »Kuhnt wurde gedeckt.« Goldenbaums Zeigefinger zeigte gen Himmel. »Von ganz oben. Irgendwer mit Macht und Einfluss hielt seine schützende Hand über ihn. Wir konnten nicht weiter gegen ihn ermitteln. Er war sozusagen unantastbar.«
    »Was meinen Sie genau?«
    »Er hatte innerhalb des  BGS  eine Sonderstellung«, antwortete Goldenbaum. »War sozusagen übergreifend verantwortlich. Kein Mensch weiß, wie es dazu kam. Aber Kuhnt pendelte. War sowohl für die  GÜG  Zittau als auch die  GÜG  Görlitz zuständig – und das Gebiet dazwischen.«
    »Wo lag das Problem?«
    »Zittau gehört zu Sachsen, zum Bereich des Grenzschutzamtes Pirna, Görlitz gehört zwar ebenfalls zu Sachsen, ist von Grenzschutzseite aber dem Amt in Frankfurt an der Oder zugeordnet. Zwei verschiedene Bereiche sozusagen.«
    »Und Sie sind für Pirna zuständig.«
    »Grenzschutzpräsidium Süd«, nickte Goldenbaum. »Görlitz gehört zum Präsidium Mitte. Da komme ich nicht ran. Das ist nicht meine Zuständigkeit, und damit war der Fall erledigt. Ich musste die Ermittlungen gegen Kuhnt einstellen.«
    Oh Mann, das klang wieder nach typischem Kompetenzgerangel. Zwei Bereiche, zwei Chefs, von denen keiner mit dem anderen kann. Der Verbrecher muss nur die Seite wechseln, um seine Verfolger abzuhängen. Denn bis die geklärt haben, wer ihn jetzt einfangen darf, ist er längst über alle Berge.
    »Die Frage ist«, sinnierte Goldenbaum, »wer hat Kuhnt diese Sonderstellung verschafft?«
    »Er hat doch eine Fortbildung gemacht«, sagte Schwartz, »in Wiesbaden.«
    »Ja«, nickte Goldenbaum und schüttelte dann den Kopf, »absurd, nicht wahr?«
    »Wieso?«
    »Na, weil wir unsere Beamten nach Koblenz zur Fortbildung schicken«, antwortete Goldenbaum, »oder in unser neues Grenzschutzausbildungszentrum nach Neustrelitz.«
    »Das heißt?« Schwartz sah fragend auf.
    »Das heißt: Was immer Kuhnt in Wiesbaden gemacht hat, eine Fortbildung kann es nicht gewesen sein.«
    »Aber …«
    »Ja«, nickte Goldenbaum bitter. »›Aber‹! Über dieses ›Aber‹ bin ich auch nie hinausgekommen.«

16
    IRGENDWER HAT EINMAL GESAGT,  dass es nur einen Engel braucht, um selbst die Höhle des Fürsten der Finsternis zum Paradies zu erhellen. Der Kerl hatte recht. Jule macht sogar meine von wildem Wein überwucherte alte Laube zum Platz an der Sonne, obwohl das Wetter draußen scheiße ist und ich nicht aufgeräumt habe.
    In meinem  GAZ  waren noch ein paar Dosen Bier, die köpfen wir jetzt und reden. Von alten Zeiten und wie sie sich verändert haben.
    Julia erzählt von Düsseldorf, jener Stadt

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