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Grenzwärts

Grenzwärts

Titel: Grenzwärts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver G. Wachlin
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ausgeschlagen. Gott sei Dank.
    Der Angestellte sieht mich mitfühlend an. Oder ist es Schadenfreude?
    »Ich zahl dann auch mal«, bringe ich nur mit äußerster Mühe hervor und lege einen Fünfziger auf den Tresen.
    Was ist bloß aus Deutschland geworden?
    Ich zähle mein Wechselgeld, viel ist es nicht. Verdammte Tankstellenwucherpreise. Aber immerhin habe ich jetzt Cognac. Den brauche ich heute nötiger denn je.
    »Schönen Abend noch«, verabschiede ich mich und verlasse als geschlagener Krieger mein persönliches Waterloo.
    Aber echt, wer kann schon ahnen, dass der Besuch einer Zittauer Nachttanke so dermaßen in die Hose gehen kann. Neger bei der Polizei! Unglaublich.
    Wo soll das nur enden?

24
    »Что случилось? «
    Ein junges, von blonden, weichen Haarlocken umrahmtes Gesicht beugte sich über sie. Es sah besorgt aus. Und es war stark geschminkt, mit dunkelrotem Mund und langen, schwarz getuschten Wimpern. Der Kajalstrich war etwas verlaufen und hatte einen verwaschenen schwarzen Streifen auf die Wangen gemalt. Als hätte das Mädchen geweint. Aber jetzt lächelte es erleichtert.
    »Как ты себя чувствуешь?«
    Julia spürte, wie sie fror. Wo bin ich, dachte sie, und ihr Kopf dröhnte, als befände er sich im Innern einer Basstrommel, die unaufhörlich geschlagen wurde.
    »Ты говоришь по-русски?«
    Julia überlegte. Natürlich hatte auch sie in der Schule früher Russisch gehabt. Aber es war alles weg.
    » Nemjetzki «, antwortete sie schließlich mit einer kraftlosen Stimme, über die sie selbst erschrak,  »and english.«
    »Dann sprechen wir Deutsch, gut?« Das Mädchen zog sich die langen Stulpenstiefel von den Beinen, um sie auszugießen. Wasser floss heraus. »Alle Mädchen, die nach Deutschland wollen, lernen Deutsch.« Sie lachte aufmunternd. »Du hast es geschafft. Knapp, aber geschafft, weißt du? Ich hab dich aus dem Fluss gezogen.«
    »Aus dem Fluss …« Julia erinnerte sich. Sie wollte den Müllsack mit Kudellas Waffen entsorgen.
    »Du hast zwischen den Steinen im Wasser gelegen«, erzählte das Mädchen. »Du warst …« Sie überlegte. »… wie sagt man, ohnmächtig?«
    Ja, dachte Julia bibbernd, das war ich wohl. Sie richtete sich etwas auf. Jeans, Wollpullover und Anorak waren völlig durchnässt und klebten schwer und kalt an ihrem Körper. Ekelhaft! Zitternd sah sie sich um. Offenbar war sie von dem Mädchen bis hoch in das ungenutzte Gewerbegebiet geschleppt worden, denn sie befand sich in einer hohen, zugigen Halle, von deren Wänden die Farbe abblätterte. Durch die offenen Tore drang schwaches Neonlicht von draußen herein.
    Oder war es der Mond?
    »Ich heiße Swetlana«, sagte das Mädchen und hockte sich neben sie. »Und du?«
    »Julia.«
    »Julia …« Swetlana seufzte. »Ja, das ist schön. Und woher kommst du, Julia?«
    »Aus Düsseldorf.«
    »Düsseldorf?« Swetlana riss verblüfft die Augen auf. »Aber das ist Deutschland! Ich dachte, du bist durch den Fluss gekommen?«
    »Nein«, Julia schüttelte den Kopf, »nur reingefallen. Das war ein Unfall.«
    »Und was machst du dann … hier?«
    »Praktikum.« Julia strich sich mit zittrigen Händen ein paar nasse Haarsträhnen aus dem Gesicht. »Ich will studieren.«
    »Ja«, nickte Swetlana versonnen, »das will ich auch. Irgendwann.«
    »Und wo kommst du her?«
    »Minsk.« Swetlana legte den Kopf in den Nacken und schloss die Augen. »Das ist Weißrussland. Ich hätte nie hierherkommen sollen.
    »Aber du bist doch eben erst angekommen?«
    »Nein.« Swetlana sah Julia an. »Du warst im Wasser. Ich habe es nur in den Stiefeln.«
    »Weil du mich rausgezogen hast.« Julia lächelte schwach. »Vielen Dank, Swetlana.«
    »Du holst dir den Tod.« Swetlana erhob sich und reichte Julia die Hand. »Du musst aus den nassen Sachen raus. Weißt du, wo du dich umziehen kannst?«
    »Ich habe ein Zimmer in der Altstadt.« Julia kam mit Swetlanas Hilfe hoch, musste sich aber an der Wand abstützen, um nicht wieder umzufallen.
    »Warte, leg deinen Arm um mich, das geht besser …« Swetlana nahm ihre Stiefel in die linke Hand und half der schlotternden Julia dann auf bloßen Füßen aus der Halle hinaus.
    Die Nacht war sternenklar und kalt. Richtig frostig, stellte Julia entsetzt fest, während sie, von Swetlana gestützt, durch das leere Gewerbegebiet zurück zur Chopinstraße wankte. Vielleicht werde ich nicht gleich sterben, dachte sie, aber eine Lungenentzündung ist sicher drin, wenn ich nicht

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