Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gretchen

Gretchen

Titel: Gretchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Einzlkind
Vom Netzwerk:
Informationen brauchte.
    »Ich warte auf einen Fischer namens Henrik.«
    »Ups.«
    »Er soll mich nach Gwynfaer fahren.«
    »Ups.«
    »Auf diese Insel.«
    »Ups.«
    Warum sagte das betrunkene Baby mit dem Bart immer Ups? Was bedeutete Ups? Ups, meine Gehirnzelle hat sich jetzt komplett verabschiedet? Ups, da würde ich nicht hinfahren, es sei denn, ich liebe Kannibalen mit multiplen Psychosen? Ups, ich glaube, das letzte Bier war schlecht? Aber Helgi machte nicht den Eindruck, als würde er sein Ups näher erklären wollen. Und für einen kurzen Moment konnte Gretchen Morgenthau in seinen Augen so etwas wie Traurigkeit erkennen, und sie wusste nicht, warum, und es interessierte sie auch nicht weiter, denn die Tür ging auf und ein herbstlich duftender Pfeifentabak waberte hinein. Im Rahmen stand ein hünenhaftes Etwas. In seinem Gesicht buschte ein weißer Vollbart. Es trug einen Norwegerpulli. Und Gummistiefel. Himmelblaue. Mit Elchen. Gott.

15
    Auf dem Weg zum Hafen begegneten Kyell und Tule der Euphorie weit seltener als erwartet. Es schien noch nicht einmal etwas in der Luft zu liegen, weder Spannung noch Angst. Es roch wie es immer roch: nach Meer und Erde. Nur wenige Einwohner hatten sich rausgeputzt, um den Neuankömmling willkommen zu heißen. Dabei hatte Arne, der Bürgermeister, in den letzten zwei Wochen kaum ein anderes Thema als den Besuch dieser berühmten Frau.
    Aus England sollte sie kommen. Und eigentlich aus Wien. Diese Frau, die in Gwynfaer so gut wie niemand kannte. Vom Theater sollte sie sein, eine Legende gar, im biblischen Alter und gebrechlich wohl. Verurteilt, sagte Arne, habe man sie, und die Strafe hieß: Gwynfaer. Und wenn Arne davon erzählte, dann lachte er immer, als sei es besonders lustig, was komisch war, da sonst niemand lachte.
    Kyell plagte wie die meisten Einwohner keine allzu große Neugier. Ganz abgesehen davon, dass er nicht einen einzigen Prominenten zu benennen wusste, fehlte ihm auch die Leidenschaft für Autogrammkarten. Und auch die Zeit für solch aufregendes Tun, war doch seine eigene Welt schon mysteriös genug, um ziellos umherzuirren und sich ständig zu verlaufen. Auch das Theater war ihm stets fremd geblieben. In der Schule schon konnte er weder Strindberg noch Euripides lange folgen, müde wurde er, wenn Geschichten einen Vorhang brauchten, der auf- und wieder zuging. Und dann sprach es noch in fremder Zunge, dieses Theater, dieses Künstliche, dieses ewige Gebärden und Gehabe, dieses groteske Sagen und Tun und immerzu wurde gedünkt und gedolcht. Kunst. Ja. Aber: warum?
    Tule hingegen schien wie ausgewechselt, nahezu aufgedreht, vielleicht sogar ein wenig aufgeregt, auch wenn er das nie zugegeben hätte. Er war ein anderer. Wieder einmal. Wieder einmal hatte er sich komplett gehäutet. Er war jetzt Theater. Nein, er war schon immer Theater. Er war nie etwas anderes. Er trug einen schwarzen, eng anliegenden Anzug, klobige, verwitterte Schnürstiefel, ein weißes, löchriges T-Shirt mit der Aufschrift Ich fickte Heiner Müller und, gleichwohl er Augen wie ein Adler hatte, eine übergroße Hornbrille, wie sie sonst auch Anna, die Erdkundelehrerin, gerne trug. Die lockigen Haare strubbelten sorgsam querverlegt, damit sie aussahen, als habe er sie seit drei Wochen nicht mehr gekämmt. Unter seinem rechten Arm klemmte ein dickes Bündel loser Blätter, mit grober Kordel zusammengehalten. Sein Gang hatte sich verändert, er schlurfte nicht mehr, er schritt voran, mit Körperspannung und gleichsam lässig ausholenden Bewegungen, als würde er beobachtet, als wäre jeder Schritt, den er tat, von großer Bedeutung, nicht nur für ihn, nein, für die Menschheit überhaupt.
    »Wie stellst du sie dir vor?«, fragte Tule, als sie die Kristiana-Anhöhe passierten und der Hafen schon in Sichtweite lag.
    »Keine Ahnung«, sagte Kyell. Er hatte sich keine Gedanken über das Aussehen der Theaterfrau gemacht. Warum auch. »Alt?«
    »Ich meine nicht ihr Aussehen. Ich habe Bilder von ihr gesehen. Durchaus ungewöhnlich. Ich meine ihr Wesen, wie sie ist, jenseits von Wasser, Proteinen und Fetten.«
    »Weiß nicht.«
    »Ich glaube«, sagte Tule und blickte dabei wissend in die Ferne, »dass sie dialektisch ist, von kapriziöser und vulkanischer Natur, dass sie schwarz-weiß ist, dass sie Gerechtigkeit mag und Trubel und Magerquark, dass sie Wege ungern zweimal geht und nicht leicht zu verbiegen ist. Ich glaube, dass wir gute Freunde werden. Natürlich erst, nachdem es so richtig

Weitere Kostenlose Bücher