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Gretchen

Gretchen

Titel: Gretchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Einzlkind
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Generationen aus seiner Rede rezitieren würden, dass dieser Tag Geschichte schreiben würde, dass es Momente im Leben eines jeden Menschen gab, die voll der Magie waren, die selbst im Walhall auf ein Echo stießen. Und in dieser Rede, so viel war gewiss, steckte das Potenzial, um Menschenmassen zu begeistern, zu manipulieren und für immer hinter sich zu scharen. Auch das Programm, das er eigens für die Ankunft der Theaterlegende zusammengestellt hatte, konnte sich sehen lassen. Es war in aller Bescheidenheit ein einziger Höhepunkt, ein Kunstwerk, um genauer zu sein. Fast eine Woche lang hatte er daran gebastelt. Der Ablaufplan sah vor, dass zum Einlaufen die Kammermusiker um die Nordveidt-Zwillinge Brahms spielen. Streichquartett Nr. 1 in c-Moll. Gerne hätte er es ein wenig bombastischer gehabt, aber für ein orchestrales Stück fehlte ihm leider das passende Orchester. Sobald die Legende den Steg betrat, sollte Tuvas Internationaler Chor Oh Happy Day anstimmen, eines seiner absoluten Lieblingslieder für die Ewigkeit. Er hatte Tuva noch durch die Blume gefragt, ob sie dieses Mal nicht ganz so aufreizend ihre Hüften schwingen könne, schließlich seien 130 Kilo kein Pappenstiel, weder in der Bewegung noch zum Anschauen. Die Bitte wurde nicht nur abschlägig behandelt, sie wäre ihm beinahe um die Ohren geflogen, da Tuva, mit ihrem Obstmesser spielend, erklärte, dass sie es keineswegs gutheiße, wenn ihre Bühnenperformance Anlass zur Kritik gebe, und dass sie fürderhin überhaupt keine Veranlassung erkennen könne, ihre erotische Ausstrahlung von einem kleinkarierten Syndikus mit Oberlippenbart kommentieren zu lassen, der, augenscheinlich mit Blindheit geschlagen, nicht erkennen könne, dass ihr Hinterteil dem einer Kallipygos würdig sei. Da wollte Arne nicht weiter insistieren, er lehnte sich zwar gerne aus dem Fenster, wusste aber auch, wann es besser war, den Kopf wieder einzuziehen. Denn gleichwohl Tuva als herzensgute und immer fröhliche Matrone bekannt war, so wusste doch ein jeder um die Geschichte mit dem Obstmesser, der kleinen Beleidigung und dem fremden Finger.

16
    Winde tosten ruhelos hin und her, bildeten kleine Wirbel und stoben wieder auseinander. Mit ihnen zogen mächtige Wolkenberge auf, die den blauen Himmel säumten und der Sonne nur wenige Schlupflöcher gewährten. Waren Götter am Werk, so schienen sie ein wenig ungehalten, denn Wellen schäumten gegen die Reling und spritzten auf die hölzernen Planken. Es knirschte und knarschte recht ungeheuer, das Boot schlonkerte nach links und nach rechts, ganz so, als habe es über den Durst getrunken. »Leichter Seegang«, murmelte Henrik, der Fischer. Leichter Seegang. Was sonst. Gretchen Morgenthau war keine Expertin in Sachen Schiffbau. Im tiefsten Innern aber wusste sie, dass Misstrauen und Sorge recht treue Wegbegleiter sein konnten. Denn mochte dieses Bötchen mit dem verheißungsvollen Namen Hulahoop auf einem Wörthersee recht passabel dahinplanschen, so schien es doch im Atlantischen Ozean ganz über Gebühr die Gewalten herauszufordern. Es war das eine, mit der Titanic stilvoll im Eiswasser zu versinken, derweil das Orchester die kleine Unannehmlichkeit piano mit Chopin versüßte. Etwas völlig anderes aber, in einem Fischkutter das Zeitliche zu segnen, derweil niemand dabei zuschaut.
    »In ihrem Boot stinkt es nach Fisch«, sagte Gretchen Morgenthau, um das Eis ein wenig zu brechen.
    Der Fischer strich mit der rechten Hand durch seinen schlohweißen Vollbart und sagte: »Ja, das ist mir auch schon aufgefallen. Ich kann aber beim besten Willen nicht sagen, woran es liegt.«
    Oha, dachte Gretchen Morgenthau, wenn die Insulaner alle so viel Humor haben, dann konnte es ja lustig werden. Eine grausige Vorstellung, denn nach Heiterkeit war ihr nicht zumute.
    Sie schaute auf das Meer. Das blaugrün schimmernde Meer. Wie fremd es doch war. Hunderte von Metern mochte es tief sein, und je weiter es hinunterging, desto dunkler wurde diese unheimlichste aller möglichen Welten. Irgendwo dort unten mussten Queequeg und Ahab begraben liegen, wo genau, war nicht auszumachen und auch gar nicht wichtig. Wichtig war, ob sie lebend diesen Kahn verlassen, ob sie je wieder Land sehen würde, ob gelobt oder ungelobt, das wiederum war ihr egal. Die Chancen, so versuchte sie sich einzureden, standen gar nicht mal so schlecht. Denn zur Begrüßung hatte der Fischer einen recht passablen Eindruck hinterlassen, auch wenn er schnödes Zeug über Lee und Luv,

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