Gretchen: Ein Frankfurter Kriminalfall (German Edition)
Kindermörderin war gefasst und sollte ins Hospital gebracht werden.
Die Träger nahmen den Weg über Liebfrauenberg, Neue Kräme und Römerplatz, wo es an Passanten nie mangelte. Die es tatsächlich noch nicht wussten, wer drin saß in der Portechaise, die wurden von denen aufgeklärt, die am Katharinenturm schon eine Gafferrunde gebildet hatten und nun mit Pfiffen und unter Rufen diverser für schlimme Frauenzimmer vorgesehener Vokabeln den Transport launig begleiteten. Zwei zusätzlich abgestellte Wachsoldaten hatten alle Hände voll zu tun, die Verwegensten daran zu hindern, an der Portechaise die Vorhänge hochzuklappen.
Als der Zug vorbei war, hörte man auf der Neuen Kräme viele Passanten sich äußern: Das sei doch skandalös – eine solch unbarmherzige Verbrecherin derart zartfühlend zu behandeln! Ja was, in den Kerker gehöre die! Zu den Ratten, bei Wasser und Brot! Doch nicht ins Krankenhaus! Wo kommen wir denn hin, wenn Mörderinnen auf städtische Kosten gepäppelt werden, während viele hart arbeitende, gottesfürchtige Menschen sehen können, wo sie bleiben. Bei dem Brotpreis dies Jahr!
Einige allerdings auf der Neuen Kräme, die schauten betreten und beunruhigt drein nach dem Spektakel und sprachen nicht viel. Aus ganz unterschiedlichen Gründen. Und von denen war eine das Fräulein Lisette von Stockum und ein anderer der Dr. Metz − Arzt, Schwabe, Pietist.
Eine weitere Person war so wütend, dass ihr die Wangen glühten. Nämlich die Dienstmagd Christiane. Die stand am Liebfrauenberg gegen den Brunnen gelehnt und konnte es noch gar nicht fassen. Gute zwei Stunden hat sie sich jetzt die Hacken wund gelaufen nach der Susann, alles umsonst, weil also das Aas schon gefasst war und offenbar jemand anderer, der es nicht halb so sehr verdiente wie sie, die fette Belohnung von fünfzig echten Reichstalern eingeheimst hatte.
Was nicht ganz stimmte. Denn der Soldat Setzentreibel hatte ja lediglich seine Pflicht als städtischer Bediensteter erfüllt bei der Festnahme der Brandin und bekam dafür kein Geld, sondern von seinem Sergeanten bloß belobigend auf die Schulter geklopft. Zum ersten und einzigen Mal in seiner Dienstzeit.
SAMSTAG, 3. AUGUST, SECHS UHR ABENDS
IM HOSPITAL zum Heiligen Geist hatte sich in den letzten fünfhundert Jahren nicht viel verändert. Insbesondere war es nicht vergrößert worden, was auch schlecht möglich wäre, da hier so zentral zwischen Römer und Dom gar kein Platz war: Alles war zugebaut rund um das Spital mit diversen wichtigen Gebäuden, den Schlachthallen zum Beispiel, und an der Südseite vom Spital, da lag der Main. Der schickte gelegentlich mal Hochwasser, was die allgemeinen Zustände in den Krankensälen nicht verbesserte.
Die waren allerdings ohne fauliges Hochwasser schon zum Fürchten. Da brauchte es auch den herüberwabernden Mief von Fleischabfällen aus den Schlachthallen nicht, dass einem hier drin schlecht wurde, jedenfalls in den Stuben fürs gewöhnliche Volk, wo im Schnitt fünf schwerkranke Menschen auf ein Bett und einen Nachttopf kamen. Und die, die nicht mehr hineinpassten in die Betten, die sperrte man in große Kisten, in der Hoffnung, dass der Geruch drin blieb in den Kisten und nicht rausdrang. Laut Aussage des Herrn Rechtsanwalts Dr. Hieronymus Schlosser, der jahrelang die Verwaltung vom Spital gemacht hatte, ging es in jedem Schweinestall reinlicher und gesünder zu. Es gab Bettler und Vaganten, die lieber krank auf der Straße herumlagen, als ins Hospital zu gehen.
Die Susann hatte niemand gefragt. Aber sie hatte vergleichsweise Glück mit ihrem Spitalaufenthalt, deshalb, weil sie nicht in einen Krankensaal, sondern ins Hospitalgefängnis musste. Das waren zwar nur ein paar vergitterte Stuben über der Waschküche mit Schimmel an den Wänden, wo sich im Winter die Gefangenen geradezu stapelten, die sich vorher anderswo in unbeheizten Kerkerzellen auf Steinboden den Tod geholt hatten und die nun ihre letzten Tage oder Wochen im Spital verbringen mussten. Im Sommer aber war es hier viel leerer. Sodass die Susann, höchst privilegiert, ein eigenes Bett bekam.
Als sie eintraf am Samstagabend, da war sie nicht fähig, auf eigenen Füßen zu stehen. Sie wurde gleich hingelegt, in einer gänzlich leeren Zelle. Zwei Krankenwärterinnen schnürten ihr die Kleider auf und deckten sie warm zu. Bei ihr blieb danach nur eine ältere Wärterin, die humpelte, Schmidtin hieß und sie barmherzig mit «Liebchen» anredete.
Zum
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