Gretchen: Ein Frankfurter Kriminalfall (German Edition)
Einhorn .
Nun wird dummerweise dem Setzentreibel klar, dass er sich an den Namen von der gesuchten Person gar nicht richtig erinnert. Ja, so blöd kann doch gar niemand sein außer ihm! Allerdings kommt ihm «Susann Brandin» irgendwie so vor, als könnte … Weil er nun leider nicht mehr zurückkann, fasst er stark schwitzend und glutwangig die Person mit der linken Hand am Arm, hält ihr mit der Rechten die Flinte vage vor die Brust und erklärt: «Ich muss Sie vorläufig arretieren. Bis dass wir geklärt haben, ob Sie nicht eine gesuchte Verdächtige ist.»
Das Mädel fängt an zu zittern wie Espenlaub, und in dem Moment trifft auch Verstärkung von oben ein in Gestalt des Gefreiten Kleinheinz, der offenbar besser aufgepasst hat gestern Nacht betreffs des Namens der Mörderin. «Die Brandin?», fragt er den Setzentreibel, während er schon seinerseits die Person am andern Arm fasst. Als der Gefreite Setzentreibel nickt, noch ganz ungläubig, dass er hier wirklich einen solchen Fang gemacht haben soll, führen beide die Gefangene sofort ab.
Und zwar zur Hauptwache.
Die Susann geht wehrlos zwischen ihnen wie im Traum. Weil es eigentlich nicht wahr sein kann, was ihr nun passiert. Weil das eigentlich nicht sie selbst sein kann, die jetzt von zwei Soldaten die Bockenheimer Gasse entlanggeführt wird vor allen Menschen, auf dem Weg ins Gefängnis. Und die Schwestern können doch nicht wirklich …
Doch.
Jesus, ist ihr schwindelig. Und sie ist so schrecklich müde.
Sie bekam nicht viel mit von der Aufregung, die bei ihrer Ankunft in der Hauptwache losbrach. Lange blieb sie sowieso nicht dort, da es sich bei dem hiesigen Kerker um ein reines Männergefängnis handelte. Es war klar, dass man die Brandin, sobald festgestellt war, dass es sich tatsächlich um diese handelte, unter schwerer Bewachung weiter führen musste zum Weibergefängnis, dem Katharinenturm. Das war allerdings nur ein kurzer Weg: Der Turm stand auf der Südseite vom Heumarkt und somit in Sichtweite der Hauptwache, ein Relikt der mittelalterlichen Stadtbefestigung noch und leider heute ein echtes Verkehrshindernis. Denn die schmale Pforte unten im Turm war unpassierbar für große Equipagen, bildete aber den einzigen Durchgang weit und breit zwischen Neustadt und Altstadt, zwischen östlicher Zeil und den Geschäften auf dem Kornmarkt und der Neuen Kräme.
Der Aufseher vom Katharinenturm, Richter Weines, war überhaupt nicht glücklich mit der Neuangekommenen. Das Mädchen sah ja so was von blass und matt aus. Als die Soldaten es in der Zelle losließen, kippte es geradewegs um. Die ehemalige Senckenbergische Magd Schmalbachin, die hier schon seit April gehalten wurde, wusste nicht, wer da zu ihr gebracht wurde. Sie rutschte sofort ein Stück weg, weil sie fürchtete, die Neue könnte was Ansteckendes haben.
«Ei, Ihr seid doch verrückt», befand der Richter Weines. Er meinte die Soldaten. «Ja, seht Euch das an, die blutet ja noch! Ei, soll die ihr Wochenbett im Kerker halten?»
Er bückte sich und fühlte der reglos auf dem strohbestreuten Steinboden liegenden Verdächtigen Brandin die deutlich zu heiße Stirn.
«Ei, die verreckt mir doch hier auf dem Turm. Die gehört ins Hospital!»
Doch natürlich musste auch bei dieser Entscheidung der Dienstweg eingehalten werden, weshalb der Richter Weines nun erst mal zum Stadtschreiber Claudy schicken ließ, der seinerseits zum Jüngeren Bürgermeister schicken ließ, der alsbald verfügte: Die Verhaftete möge ins Hospital gebracht und dortselbst mit Bett, Wärterin und Verpflegung versehen werden. «Also ab, Marsch mit ihr!», verkündete, als es so weit war, der Richter Weines befriedigt dem anwesenden Militärpersonal. «Und nicht, dass Ihr sie selbst laufen lasst, Ihr verrückten Kerle. Wozu stehen denn die ganzen Portechaisen herum bei der Hauptwache.»
So ergab es sich also, dass die Susann zum allerersten Mal in ihrem Leben in den Genuss eines sonst den besseren Kreisen vorbehaltenen städtischen Verkehrsmittels kam. Statt ihrer selbst mussten vier Soldaten laufen, die Träger der Sänfte.
Drin auf dem Stuhl war es stickig und dunkel. Ledervorhänge schützten die Getragenen vor neugierigen Blicken, und selten hatte das eine so nötig gehabt wie die Susann heute. Gegen fünf war es, dass sie heruntergeführt wurde vom Katharinenturm und hineingesetzt wurde in die wartende Portechaise, und da hatte es sich zumindest im Westen der Stadt schon weit herumgesprochen: Die gottlose
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