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Gretchen: Ein Frankfurter Kriminalfall (German Edition)

Gretchen: Ein Frankfurter Kriminalfall (German Edition)

Titel: Gretchen: Ein Frankfurter Kriminalfall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ruth Berger
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würde sie, Susann, sich nach einer freien Stellung umhören und auch ihre Schwester Ursel darum bitten, die sich mit so vielen feinen Kaufleuten gut steht.
    An die möglichen Schwierigkeiten von der Susann selber hat die Eva während des ganzen Gesprächs natürlich nicht gerührt. Lieber hätte sie sich die Zunge abgebissen, als die Susann zu fragen, ob an den Gerüchten was dran sei. Wenn die Susann wirklich schwanger sein sollte (der Bauch schien tatsächlich etwas dick …) – ach nein, das wäre ja so furchtbar, da will die Eva lieber nichts von wissen. Da würde sie sich schämen, über so etwas mit der Susann zu reden. Sie will ja auch von der Susann nicht schlecht denken müssen. Und als die Susann am Ende andeutet, sie hätte auch Sorgen im Augenblick, da fragt die Eva nicht nach, aber bemerkt, ein bisschen nervös, ihre Eltern wunderten sich bestimmt schon, wo sie denn abgeblieben sei, und sie müsse jetzt wirklich schnell fort.
    Die Susann blieb danach noch ein kleines Weilchen alleine auf dem Wall stehen. Die Hände gefaltet, sah sie, ohne zu sehen, nach Nordosten in die Ferne, auf den bläulichen Streif am Horizont, der den Spessart markiert.
    Dann ging auch sie.
     
    Mehrere Stunden später war von Einsamkeit und Kontemplation auf den Wällen nun wirklich keine Rede mehr. Nach der Kirche wollte jeder, der nicht unbedingt arbeiten musste, hier draußen zumindest eine halbe Runde gedreht haben. Schön sonntäglich angetan hatte man sich sowieso, dann konnte man sich auch einmal beim Flanieren sehen lassen.
    Far bella figura , nannten das die Brentanos und Simonettas, die man heute gemeinsam wandeln sah und melodiös parlieren hörte. Gute Luft schnappen als Pflicht dem eigenen Körper gegenüber, so nannte es Dr.   J. Christian Senckenberg, der wie fast immer alleine einherstolzierte, mal in diese, mal in jene Richtung Haken schlagend. Die Kundschaft pflegen, nannten es die Herren Städel und Melber, beide außerordentlich erfolgreich mit ihren Handlungen für Spezereien und Apothekerbedarf am Alten Markt beziehungsweise dem Hühnermarkt. Sie schlenderten gemeinsam, unterhielten sich aber ausnahmsweise nicht über Geschäfte, sondern über die morgige Auktion von Uffenbachs Gemäldesammlung, wo Städel groß einsteigen wollte. Die Frau Melberin, von der kunstsinnigen Fachsimpelei der Männer leicht gelangweilt (sie hatte es mehr mit lebenden Menschen als mit gemalten!), die freute sich, dass sie bestimmt hier draußen ihre liebe Schwester Elisabeth treffen würde, die seit gut zwanzig Jahren schon Frau Rätin Goethe hieß.
    Und in der Tat waren auch die Goethes spazierend auf den Wällen unterwegs: Der stattliche Herr Rat marschierte einen halben Schritt vor seiner lebhaften, wesentlich jüngeren Frau, er mit streng-gemessenem, sie mit sanftem Gesicht (eine auffällige Nase und ein Doppelkinn hatten beide). Ein Stück neben der Mutter schwebte ein bisschen überirdisch in einem wehenden Cape die Tochter Cornelia, lang, blass, ganz in cremiges Weiß gekleidet, mit hoher Stirn und der Nase des Vaters im schmalen, für eine Frau vielleicht eine Spur zu starken Gesicht. Ein wenig sah sie aus wie eine Äbtissin oder eine Heilige, und ihr Bruder, der Mädchen süß, kindlich und schmollmundig liebte, hätte sich gewundert, hätte er gewusst, dass mehrere zartfühlende, träumerisch veranlagte Herren der besseren Gesellschaft heimlich schmachtend die Demoiselle Goethe anbeteten. Von weitem, versteht sich, denn sehr nahe kam man ihr nicht, das wusste der Vater zu verhindern und mehr noch ihre eigene Zurückhaltung. Doch so erhöhte sich nur der Reiz. So unnahbar, so klar und herb, so rein war das Fräulein Cornelie! Sie selbst ahnte inzwischen, dass der eine oder andere sie interessant fand. (Leider nie die Richtigen! Der Peter Brentano zum Beispiel, frisch verwitwet und eine wirklich gute Partie, der hatte eben wieder nicht geguckt.) Sie hielt das Interesse diverser Herren an ihr allerdings für rein intellektuell-moralische Sympathie.
    Mehr als drei Personen bot die Familie Goethe fürs Spazierengehen nicht auf. Vier der sechs Kinder waren ja so früh gestorben. Und eines der beiden einzigen verbliebenen, nämlich der Sohn Wolfgang, befand sich derzeit in Straßburg und versuchte sich an seiner Promotion.
    «Versuchte» war dabei genau das richtige Wort. Der Wolf machte dem Herrn Rat nämlich seit Jahren Sorgen und Verdruss mit seiner Faulheit, Sprunghaftigkeit und fehlenden Ernsthaftigkeit. Er, der Vater,

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