Gretchen: Ein Frankfurter Kriminalfall (German Edition)
Leonore de Saussure unter. Die ist zwar ein Lästermaul erster Güteklasse, aber wie alle anderen anwesenden reformierten jungen Damen gesellschaftlich gesehen definitiv fein genug, um den leichten Fleck von Runckelchens intimer Nähe reinzuwaschen.
«Habt ihr’s schon gehört?», zischelt Leonore.
«Was gehört?», fragt Cornelie und blickt sich gespielt verschwörerisch um.
«Na, bald ist’s endlich so weit bei unserer Lisette! Nicht bei dir, Runckelchen» (das Runckelchen hieß auch Lisette mit Vornamen), «sondern natürlich bei unserer lieben, braven Miss von Stockum.− Ahnt ihr’s?»
Und wie Cornelie es ahnt. Ihr wird ganz schlecht. Hat sie nicht selbst damals mitgehört, wie der badische Resident, dieses Bild der Liebe und der Schönheit, jemandem erzählt hat, er sei völlig hingerissen von der Lisette von Stockum? Gott, jetzt wird er sie wohl tatsächlich noch heiraten. Die unendlich, unendlich Glückliche. Cornelie hält das nicht gut aus. Wär sie bloß zu Hause geblieben.
«Lass mich raten», flüstert fröhlich das Runkelchen, «unsere vorbildliche Mademoiselle von Stockum ist − guter Hoffnung!» Sie kichert.
«Runckelchen! Du böses, verderbtes Subjekt! Gut, dass unsere reine Jungfer von Stockum das nicht gehört hat! Die seit Jahr und Tag wie ein beleidigter Fisch zu gucken anfängt und den Rücken dreht, wenn ihr ein Herr Komplimente macht. Dass bloß der gute Ruf nicht beschädigt wird und Maman nicht mit ihr schimpft. Und weil sie immer so brav war, ist sie jetzt tatsächlich guter Hoffnung, nämlich auf den passenden, werten Ehegatten, den Maman ihr ausgesucht hat. Und wer kann das sein? − Na kommt, es ist wirklich nicht schwer! Wer von euch errät’s als Erste?»
«Peter Brentano», spekuliert das Runckelchen. Was natürlich vollkommener Unsinn ist, denkt Cornelie. Die reformierten Kaufleute pflegten nämlich nur untereinander die Ehe einzugehen. Und die Witwe von Stockum würde, wenn sie mitzureden hatte, von diesem Brauch kaum abgewichen sein. Der Bräutigam war also bestimmt weder Lutheraner noch Katholik. Womit auch der badische Resident aus dem Rennen wäre – Gott sei Dank!
Nicht, dass das Lisettes Verlobung in Cornelies Augen viel erfreulicher machte. Hatte doch ihre Mutter eines Tages ausdrücklich klargestellt, dass die Eltern Goethe, wiewohl selbst lutherisch, sehr, sehr gern auch einen Herrn reformierter Konfession als Schwiegersohn nehmen würden − gute Familie vorausgesetzt. «Was juckt es uns, wenn die Pfaffen streiten», hatte die Mutter gesagt, «vor Gott sind alle Christen gleich».
Die Neuigkeit bedeutete also in jedem Fall: ein Kandidat weniger auf dem Markt. Na ja, solange es wenigstens nicht der badische Resident war, konnte Cornelie das vielleicht noch verschmerzen. Allerdings hoffte sie −
«Meine Damen! Attention!»
Der Ruf und herannahendes Hufegetrappel ließen die drei Freundinnen zur Seite weichen. Der Reiter bremste scharf sein Pferd, kaum hatte er im Galopp das Trio passiert, und brachte es bei dem knapp zehn Schritt vorausgehenden nächsten Grüppchen der Gesellschaft dramatisch zum Stehen. Um genau zu sein, bei dem Grüppchen, in dem sich Lisette von Stockum befand. Und nun musste man wirklich nicht mehr raten, da Lisette laut «De Bary!» rief und etwas rot wurde, während der Herr, abgesprungen, direkt auf sie zuhielt, um ihr schließlich halb niederkniend die Hand zu küssen. Er habe sie zu Haus besuchen wollen, aber erfahren, sie promeniere vorm Allerheiligentor, worauf er natürlich sogleich hierhergeeilt …
«Die jungen Liebenden!» raunt abschätzig Leonore, und Runckelchen murmelt: «Gott, natürlich: Jean de Bary. Dass es so leicht sein würde, konnte ich aber nun wirklich nicht ahnen! Also Leonore, das ist doch gar keine Neuigkeit, ich hab schon zigmal munkeln hören, dass die beiden von ihren Eltern füreinander vorgesehen sind.»
«Na und? Jetzt ist es eben offiziell. Mitgift festgelegt, Termin ausgemacht. Sei bloß kein Spielverderber, Runckelchen, du bist selber schuld, dass du so völlig falsch gelegen hast.»
Cornelie ist jetzt wieder unglücklich. Jean de Bary also. Es musste ja ausgerechnet der sein. Er gehörte zu den äußerlich anziehenderen unter den reformierten jungen Herren, ihn hätte sie gern frei und nicht versprochen gewusst. Und wenn, wie sie nun hört, seine künftige Ehe mit Lisette von Stockum ohnehin eine reine Konvenienzsache war − hätte dann mit der richtigen Mitgift vielleicht auch sie ihn haben
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