Gretchen: Ein Frankfurter Kriminalfall (German Edition)
kein Laut entfährt. «Man hat wohl Leibschmerzen bei der Ordinaire», hört sie die Seyfriedin spöttisch sagen, «aber Ihre sind übernatürlich.»
«Die sind nicht übernatürlich. Bei meiner Kameradin war’s genauso schlimm.»
Und in der Tat muss die Susann an die Christiane denken und wie elend es der ging, wenn sie blutete. Die pflegte sich manchmal auch zu krümmen und zu winden.
Doch es wird noch schlimmer. Unmerklich zuerst, dann aber kann sie es nicht mehr leugnen, dass es sich steigert und sie kaum noch Luft schnappen kann zwischen den übelsten Attacken. Es kommt der Moment, da wird der Susann mit Entsetzen klar, so lange Geburten auch sonst dauern mögen − und was hat sie nicht alles gehört von achtzehn, zwanzig, vierzig Stunden −, bei ihr scheint es anders zu sein, sie fühlt es genau, irgendwas muss jetzt gleich heraus aus ihr. Vielleicht also doch kein Kind. Herr Jesus, bitte kein Kind. Wenn sie Glück hat, ist es nur ein Ball aus Blut, den sie gebiert. Aber was es auch ist, es wird sie zerreißen, wenn sie nicht bald raus lässt, was raus muss, und deshalb muss sie so schnell wie möglich aus der Küche und sich verbergen irgendwo im Haus. Nur kann sie leider nicht aufstehen, solange die Seyfriedin sie anstarrt. Sie hat geradezu Angst, dass ihr etwas Unsägliches unterm Rock hervorflutscht, sobald sie sich erhebt.
Irgendwann, die Zeit vergeht unendlich langsam, hört man Schritte herannahen. Die Susann denkt unvermittelt: Gott, lass es die Dorette sein. Ach, wenn doch die Frau Bauerin die Dorette geholt hätte! Sie fühlt, wie Tränen in ihre Augen schießen, fühlt sich hilflos und verlassen wie ein kleines Kind, das unbedingt die Mutter braucht.
Leider ist es nicht die Dorette, die kommt (worüber sie eigentlich froh sein müsste, denn sie kann sich doch auch der Dorette nicht offenbaren!), sondern es ist das Lieschen Bauerin, geb. Körbelin, die kurz reinschaut und meckrig erklärt, sie müsse doch sehr bitten, dass das Abendessen endlich abgeräumt werde. Mit zwei Mägden im Haus werde man kaum von ihr erwarten, dass sie das mache.
«Es reicht nämlich schon, dass ich die Bierstub an der Backe hab. Die Jungfer Seyfriedin könnt sich auch, wenn sie mit Abräumen fertig ist, allmählich mal dahin bequemen.» Worauf sie die Tür knallt und von dannen rauscht.
«Ich brauch Sie wohl nicht zu fragen, ob Sie mir helfen will?», bemerkt die Seyfriedin zur Susann, und als die den Kopf schüttelt, zurrt sie sich die Schürze zurecht und geht.
Gott sei Dank, allein. Jesus sei Dank. Die Susann steht vorsichtig auf, es ist ihr auch gerade in dieser Sekunde etwas besser. Eigentlich ist ihr im Leib seit zwei, drei Minuten schon besser. Vorsichtig fühlt sie in ihrem Schurz, stopft das Hemd so, dass es alle Flüssigkeit auffängt − denn es rinnt jetzt merklich hervor zwischen ihren Beinen, ob das nicht doch ihr Gewöhnliches sein kann? Zugleich fühlt sie aber auch, ob sie ihr Nähsäckchen bei sich hat mit der Schere, falls sie eine Nabelschnur abzuschneiden hat (ach, wenn es bitte, bitte doch nur ihr Gewöhnliches wäre!). So aufrecht wie möglich begibt sie sich durch die leere Kinderschlafkammer. Auch die Wohnstube von der Frau Bauerin ist Gott sei Dank leer. Die Tür zur Bierstube ist angelehnt. Da geht sie natürlich nicht hinein, sondern tritt mit einem vorsichtigen Schritt direkt von der Wohnstube aus auf den Hof. Es geht ihr noch immer besser, Gott sei Dank. Kein Reißen, nur ein Druck. Sie will die Hinterstiege hoch zu den heimlichen Gemächern, da sieht sie die Wanne mit Asche, die sie vorhin, als es losging mit den Schmerzen, unter der Stiege hatte stehen lassen. Das wird doch auffallen, dass die Asche hier steht. Sie sollte sie noch schnell in die Waschküche bringen.
Also bückt sich die Susann nach der Wanne, hebt sie hoch, was jetzt sehr anstrengend ist für sie, und trägt die Asche durch den düsteren Torweg vom Hinterbau in den winzigen zweiten Hof, wo rechter Hand direkt an die Staufenmauer die Waschküche grenzt.
Sie ahnt es schon.
Genau bei der Waschküche überkommt es sie so, dass sich die Frage nicht mehr stellt, ob sie es noch hoch in die Privets schafft. Mit letzter Kraft setzt sie draußen auf dem Hof die Wanne ab, torkelt in das düstere Häuschen, schließt die Tür hinter sich, torkelt im Dunkeln weiter bis zu dem großen Fass. An dem hält sie sich, stehend, mit beiden Händen fest, als ob es sie retten könnte. Jesus, was ist ihr kalt und so schlecht. Sie
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