Gretchen: Ein Frankfurter Kriminalfall (German Edition)
Ansprüche gehabt. Drei warme Mahlzeiten am Tag, wie sie die Bauerin verlangt, das wär bei dem nicht vorgekommen.
Die Susann wünscht sich, die Bauerin hätte das gehört. Und wahrscheinlich hat sie es auch gehört, denn die Türen stehen offen, und als die Susann die Wanne in die Wohnstube der Bauerin trägt, um hierdurch zum Hof zu gelangen, trifft sie die Wirtin dort noch an, vorm Spiegel, wie sie sich vorm Essen ein wenig die Haare richtet. Die Susann öffnet, die Wanne untern Arm geklemmt, mit der freien Hand die Tür zum Hof.
Es zieht ihr im Rücken. Die Wanne war nie so schwer.
Draußen, gleich hinter der Tür, krümmt sie sich vor Schmerz. Ein Reißen geht ihr durch den Leib. Dann spürt sie ein warmes Rinnsal, das ihr die Schenkel hinunterläuft.
Sie zittert, stellt die Wanne zwei Schritte weiter unter der Hinterstiege ab. Und dann geht sie, ohne zu denken, ohne einen Augenblick zu zögern, direkt zurück hinein zu ihrer Frau in die Stube. «Frau Bauerin», sagt sie, «die salzigen Pulver wirken doch von dem Doktor Burggrave. Ich krieg meine Ordinaire. Ganz plötzlich reißt es mich derart im Bauch, es blutet auch schon.»
Die Bauerin denkt im allerersten Moment: Die Susann wolle sie bloß glauben machen, sie sei von ihrer Blutstockung geheilt, damit sie nicht aus dem Haus müsse. Doch dann sieht sie ihr blasses Gesicht, den Schweiß auf der Stirn und das Entsetzen in ihrem Blick und weiß, die Susann bekommt sehr wohl etwas, ausgerechnet jetzt − wenn auch nicht unbedingt ihre Ordinaire.
«Könnt ich einen Tee haben gegen die Leibschmerzen», bittet die Susann, was ihr die Bauerin, die kein Unmensch ist, noch genehmigt. Sie steigt sogar entgegen ihrer Gewohnheit schnaufend selbst auf die Bank, um aus dem kleinen Hängeschrank die Zuckerbüchse und die Flasche mit Teeblättern herunterzuholen, reicht der versteinerten Susann, was sie braucht, in die Hand und bescheidet sie mit den Worten: Sie möge sich von ihrer neuen Kameradin eine Tasse Tee aufbrühen lassen. «Und wenn Ihr den getrunken habt, dann macht Ihr Euch aber sofort auf zu Eurer Schwester, gelle, Susann. Es ist ja nicht weit. Da bleibt Ihr ein paar Tage, bis die Ordinaire vorbei ist und es Euch besser geht, und dann werdet Ihr hier wieder tüchtig schaffen können. Die Messtrinkgelder werden Euch nicht entgehen.»
Worauf sich die Bauerin recht zufrieden zum Essen begibt.
Die Susann überfällt es noch auf dem Weg in die Küche, in der zum Glück leeren Kinderschlafkammer, ein zweites Mal. Derart, dass sie denkt, es zerreißt sie. Sie müsste nachdenken, was soll sie denn jetzt tun, wo soll sie hin, aber erst mal will sie nichts so sehr wie sich setzen.
«Ich hab so Leibschmerzen bekommen», klagt sie der Seyfriedin, sowie sie die Küche betritt. «Das ist meine Ordinaire, die sich wieder einstellt.»
«Soso», sagt die Seyfriedin, während die Susann sich zu ihrer Truhe schleppt und schwerfällig daraufsetzt. «Soso. Ich seh Ihr schon an, dass Ihr nicht richtig ist. Doch recht ist es wohl auch nicht mit Ihr.»
Dies gesprochen mit einem Unterton, der ahnen lässt, was sie damit meint. Die Susann kriegt allmählich einen Hass auf die Neue.
«Ich hab halt immer so Leibschmerzen bei der Ordinaire. Das könnt Ihr gar nicht wissen, wenn’s bei Euch nicht so ist. Könnt Ihr mir also bitte Wasser aufbrühen für einen Tee.»
«Sie sollte sich lieber schnell fortmachen zu Ihrer Schwester und sich ins Bett legen. Wo ist denn eigentlich der Tee?»
«In der Stube von der Frau Bauerin im Hängeschrank. Ich hab aber hier schon Tee und Zucker. Nur das Wasser macht mir bitte heiß.»
Während das geschieht, kommt die nächste Attacke. Die Susann krümmt sich auf der Truhe. Himmel. Es sind doch die Wehen, Jesus, es müssen wohl wirklich die Wehen sein. Wenn sie nur klar denken könnte. Sie muss noch froh sein, dass es sie jetzt und hier erwischt, in dem großen Haus, wo sie sich verbergen kann. Sie muss jedenfalls hier bleiben, bis es vorbei ist. Sie kann sich unmöglich die Predigergass hinunterschleppen und ausgerechnet beim Schreinermeister Hechtel anklopfen, mitten in Krämpfen und mit Blut im Rock.
Wenn sie nur allein wär. Wenn nur die Neue nicht wär, die, nachdem sie ihr eine Tasse Tee gereicht hat, am Tisch lehnt und sie kritisch mustert. Dabei weiß sie bald gar nicht mehr, wie sie ihre Teetasse halten soll. Immer wieder kommt es ganz schlimm. Dann windet sie sich auf der Truhe wie ein Wurm, die Lippen zugepresst, dass ihr nur
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