Greystone Saga: Mit Schwert und Feder: 1 (German Edition)
kommen wir zu dir in die Bibliothek.“ Er erhob sich, ging zu Ians Stuhl und schüttelte ihn leicht an der Schulter.
Ian schreckte auf und kam sofort zum Stehen. Seine Hand fuhr zu seinem Messer und er riss die kleine Waffe in Erwartung eines Angriffs nach oben, die Spitze der Klinge auf Jakes Hals gerichtet.
Joanna schlug die Hand vor den Mund und Galad starrte entsetzt auf die Szene. Der Earl, der mit Ians Reaktion gerechnet zu haben schien, zeigte eine bewundernswerte Selbstbeherrschung. „Es ist alles in Ordnung, Ian. Du befindest in Greystone, in Sicherheit. Du bist nur eingeschlafen.“
Es dauerte einen Augenblick, bis der kampfbereite Ausdruck auf Ians Gesicht verschwand und er das Messer wegsteckte. Er sah sich um und bemerkte Joannas Bestürzung. Sie sagte nichts, aber was mochte sie jetzt von ihm denken?
Galad hingegen hielt sich mit seinem Urteil nicht zurück. „Oh, die Manieren von Lord Darkwood werden immer exquisiter!“
Ian konnte ihm seine Äußerungen nicht verübeln. Warum nur hatte er sein Messer mitgenommen? Kein wahrer Edelmann zog bei Tisch seine Waffe! Was, wenn Lady Joanna ihn geweckt hätte? Die Vorstellung seines Messers an ihrer Kehle erschreckte ihn. „Es ist wohl das Beste, wenn ich zu Bett gehe“, sagte er und drehte sich zur Tür, die Hände vor Wut über sich selbst zu Fäusten geballt.
„Warte!“ Jake trat neben ihn. „Meine Schwester und ich führen dich zu deinem Zimmer.“
Ian lag auf der Zunge, dass er den Weg dorthin alleine finden würde, doch er wollte nicht unhöflich sein, auch wenn es nach dem Vorfall eben keinen Unterschied mehr machen würde. Und so folgte er schweigend seinen beiden Gastgebern.
„Gute Nacht, Ian“, sagte Lady Joanna, als sie vor dem Raum ankamen, der nun von ihm bewohnt wurde.
Eine unverständliche Erwiderung murmelnd verschwand er in seinem Zimmer.
Besorgt betrachtete Joanna die Tür, die Ian hinter sich geschlossen hatte. Sein angespannter Gesichtsausdruck hatte ihr überhaupt nicht gefallen.
Jake legte seinen Arm um ihre Schultern. „Es wird dauern, bis Ian verinnerlicht hat, dass er nicht mehr im Tagelöhnerhaus lebt. Und bis dahin“, er zwinkerte ihr zu, „vermeidest du es bitte, ihn zu wecken oder zu erschrecken. Ich sähe es nicht gerne, wenn sein Messer in deinem Körper steckte.“
Joanna verzog das Gesicht, doch dann fiel ihr etwas ein. „Als du ihn eben wachgerüttelt hast, war er bereit, sich zu verteidigen. Aber er hätte doch auch sofort zustechen können, oder?“
„Es ist dir also aufgefallen. Ja, Ian hatte den Mut abzuwarten und nicht blindlings anzugreifen. Dieses Vorgehen spricht sehr für ihn und passt zu dem Bild, das ich mir in Darkwood von ihm gemacht habe. Ein äußerst vorteilhaftes Bild“, fügte er nachdrücklich hinzu, „sonst hätte ich ihn niemals eingeladen.“ Er grinste schief. „Jetzt müssen wir nur noch Galad von Ians Vorzügen überzeugen.“
Als Jake und Joanna die Bibliothek betraten, erwartete sie der junge Lehrer bereits. „Oh, ihr lebt noch?“, begrüßte er sie. „Hat euer neuer Freund darauf verzichtet, euch umzubringen?“
„Höre doch erst einmal, was wir zu erzählen haben.“ Seufzend ließ Jake sich in einen Sessel am Kamin fallen und Joanna folgte seinem Beispiel.
„Sei versichert, ich bin ganz Ohr“, erwiderte Galad und nahm ebenfalls Platz.
Nachdem die Geschwister ihren Bericht beendet hatten, war Galads ablehnende Haltung verschwunden. „Das ist eine schlimme Geschichte. Vor diesem Hintergrund war mein eigenes Verhalten heute Abend äußerst unangebracht.“ Er runzelte die Stirn. „Ich hätte ihn auch mitgenommen, keine Frage. Aber wie geht es mit ihm weiter? Ian macht auf mich keinen glücklichen und, das muss ich sagen, auch keinen gesunden Eindruck. Er ist älter als die anderen Studenten, hat aber einen Wissensrückstand in allen Bereichen. Bis zum Ausbildungsbeginn im August sind es noch zehn Wochen. Er müsste den fehlenden Lernstoff bis dahin aufholen, aber was tun wir, wenn er das nicht kann oder will? Und habe ich richtig verstanden, dass sein Vater ihn aus der Familie ausgestoßen hat – er demnach enterbt ist und den Namen Darkwood eigentlich gar nicht mehr führen darf?“
Joanna bekam ein mulmiges Gefühl im Bauch. Wie immer hatte Galad in knappen Worten das Wesentliche zusammengefasst. Und das klang in Ians Fall nicht sehr rosig.
Jake sah die Sache zuversichtlicher. „Zuerst geben wir Ian Zeit, wieder zu Kräften zu kommen und sich vom
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