Greywalker
wäre.«
Ich nickte. »Irgendeine Art von Geist, glaube ich. Wir haben uns im Grau gestritten. Er wusste, dass ich die andere Welt sehen kann. Aber er war außer sich, als ich nicht tat, was er von mir verlangte. Warum glauben diese Wesen, dass ich etwas für sie tun kann? Wie kommt es, dass sich jedes Gespensterwesen von Seattle seit Neuestem an mich wendet?«
»Weil du eine Grauwandlerin bist. Ich hatte dich vor solchen Besuchern gewarnt. Diese Wesen hoffen, dass du ihnen helfen kannst, weil du als Einzige mit ihnen sprechen und sie sehen kannst. So wie das ja auch bei Albert der Fall ist. Deine Ankunft im Grau muss viele Kreaturen dort wachgerüttelt haben.«
»Wachgerüttelt? Einige von denen müssen schon lange auf der Lauer gelegen haben!« Ich merkte, dass ich wieder zu zittern begonnen hatte.
Mara biss sich auf die Lippe. »Etwas Schlimmeres als Geister?«
Ich nickte und schluckte mühsam. »Am Samstag …«, begann ich. »Samstagnacht habe ich einige Vampire befragt.«
»Wegen Cameron, nehme ich an.«
»Ja, genau. Und einer … einer von ihnen zerrte mich ins Grau. Er war … er war noch viel schlimmer als die anderen.« Ich konnte nicht mehr sagen, denn die Wogen der schrecklichen Erinnerung schlugen erneut über mir zusammen.
Ich saß am Küchentisch und kämpfte gegen einen Schreikrampf an. Verzweifelt rang ich um Luft und versuchte nicht die Beherrschung zu verlieren. Der Kloß in meinem Hals wanderte allmählich weiter nach unten, bis er sich langsam auflöste. Endlich konnte ich wieder freier atmen. Da merkte ich, dass meine linke Hand schmerzte. Mara hielt sie fest und sah mich dabei starr an, während sie Zaubersprüche murmelte, die in Form von blauem Rauch zwischen uns aufstiegen. Ich versuchte, meine Hand wegzuziehen, aber sie ließ nicht los.
»Was tust du da?«, wollte ich wissen.
»Ich halte nur fest. Ich helfe dir, dich festzuhalten. Jetzt geht es dir schon besser, oder? Du siehst jedenfalls so aus.«
Mir lief es tatsächlich recht wohlig den Rücken hinunter. »Es geht mir gut.«
»Gut ist wahrscheinlich übertrieben. Aber zumindest musst du fürs Erste das Ganze nicht noch einmal durchleben. Einmal war bereits mehr als genug.«
»Ja, aber du weißt doch noch gar nicht –«
»Ich muss es auch nicht wissen, um das zu spüren«, unterbrach mich Mara. »Suchen wir Ben. Du wirst deine Geschichte bestimmt nicht zweimal erzählen wollen, und er muss sie auch hören.«
Sie stand auf und zog mich mit sich, aber ich zuckte vor Schmerz zusammen.
»Bist du verletzt?«
»Meine Haut fühlt sich an, als wäre ich gebraten worden, und ich befürchte, dass ich mir irgendetwas … irgendetwas gebrochen habe.«
»Wie ist das passiert?«
»Ich bin mir nicht sicher. Aber ich vermute, dass Ben auch darüber Bescheid wissen sollte.«
Ich erhob mich so mühselig wie eine Spinne mit Arthritis und humpelte hinter Mara her. Wir gingen die Treppe hinauf, um den Gelehrten in seiner Kammer zu besuchen. Ben begann bei unserem Anblick sofort, die Papiere und Bücher, die überall herumlagen, beiseite zu räumen und uns auf dem Sofa Platz zu machen. Er selbst setzte sich hinter seinen Schreibtisch und sah uns erwartungsvoll an. Irgendwie erinnerte er mich dabei an eine Eule.
»Du siehst nicht gut aus, Harper«, erklärte er.
Ich nickte vorsichtig. »Ich weiß.«
Wenn es mir besser gegangen wäre, hätte ich wahrscheinlich über seinen besorgten Blick gelacht. »Was ist passiert?«
Zuerst schaffte ich es nicht, eine klare Antwort zu formulieren. Bens alarmierter Blick wanderte zu seiner Frau. Sie schüttelte den Kopf.
»Hat es etwas mit Geistern zu tun?«, fragte er. »Dieses Problem? Du hast doch ein Problem, oder etwa nicht?«
»Doch«, sagte ich. »Ich habe ein Problem. Das Grau ist nämlich nicht ganz so, wie wir uns das vorgestellt haben. Und jetzt … jetzt befindet sich ein Stück davon in mir.«
Beide fuhren bei meinen Worten zusammen. Ben wurde von seinem Schreibtisch zurückgehalten, während Mara erneut meine Hand in die ihre nahm und mich intensiv musterte. Ich spürte, wie mich ihre Augen absuchten.
»Da ist etwas«, murmelte sie schließlich, »das es nicht geben sollte.«
Ben stand auf. »Was meinst du?«
»Es handelt sich um eine Art Knoten«, antwortete Mara. Sie zögerte einen Moment und schüttelte dann den Kopf. »Mehr kann ich nicht sagen. Es ist nicht einfach, es zu klar auszumachen. Außerdem habe ich mit solchen Dingen nicht viel Erfahrung.« Sie lehnte sich zurück und
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