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Grim - Das Erbe des Lichts

Grim - Das Erbe des Lichts

Titel: Grim - Das Erbe des Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gesa Schwartz
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hinter einer unsichtbaren Wand. Manche Anderwesen hatten sich hinter Furcht und Misstrauen verschanzt, und es würde nicht leicht werden, ihre Mauer zu durchbrechen.
    Mia fühlte den kalten Wind in ihrem Haar und hörte auf das Rauschen der Blätter über sich. An diesem Ort war Jakob ihr ganz nah — Jakob, der den Zweifel nicht gekannt hatte. Sie war nicht wie ihr Bruder, der über Jahre hinweg das Wissen über sein Hartiddasein für sich behalten hatte, der aus sich selbst heraus und ohne fremde Hilfe die Hoffnung auf eine geeinte Welt geboren hatte, der an die Menschen geglaubt hatte, immer und ohne jeden Zweifel. Mia verfügte weder über seine uneingeschränkte Zuversicht noch über seinen unerschütterlichen Glauben, und obwohl sie sich mit aller Entschlossenheit bemühte, ihrer Aufgabe gerecht zu werden, fiel es ihr mitunter schwer, die Verantwortung der Hartide allein auf ihren Schultern lasten zu fühlen. Sie kam oft an diesen Ort, um mit Jakob zu sprechen, nicht laut, sondern in Gedanken, und manchmal schien es ihr, als würde er ihr antworten. Ihm vertraute sie ihre Zweifel an, ihre Ängste, alles, worüber sie sonst mit niemandem sprach, nicht einmal mit Grim. Mochte er ebenso wie sie von einer geeinten Welt träumen — er war und blieb ein Anderwesen, das den Menschen in den Tiefen seines Herzens misstraute.
    Mia holte tief Atem. Jakob war weit fort, verloren in einer anderen Welt, und niemand konnte sagen, ob oder wann er in die Welt der Menschen zurückkehren würde. Aber sie hatte eine Aufgabe — die Aufgabe der Hartide. Und wenn ihr Bruder eines Tages zur ihr zurückfand, würde er stolz auf sie sein können.
    Sie beugte sich vor, um Jakobs Büste zu berühren — und spürte das leichte Flackern von Magie, das dicht über seinem Grab die Luft aufwühlte. Angespannt ließ sie den Block mit dem Stift in ihre Tasche gleiten, kniete sich neben das Grab und streckte die Hand aus. Mühelos gruben sich ihre Finger in kalte, von magischer Kraft gelockerte Erde.
    Mia fuhr zurück, als hätte sie in einen Berg faulender Gedärme gefasst. Ihr Blick flog über den unberührten Schnee auf dem Grab. Keine äußerlichen Veränderungen der Erde. Keine Fußspuren. Nichts. Fahrig wischte sie sich mit der erdverschmutzten Hand übers Gesicht. Noch einmal grub sie ihre Hand in die Erde und spürte der Magie nach, die stärker wurde, je tiefer sie ihre Finger hinabschob. Sie zog die Hand zurück und verharrte für einen Augenblick regungslos. In Sekundenbruchteilen rasten Gedankensplitter durch ihren Kopf und fügten sich zu einer wahnwitzigen These zusammen: Das Grab war auf magische Weise geöffnet worden — von innen.
    Ihre rechte Hand zitterte, als sie einen Zauber in ihre Finger schickte und sich vorbeugte. Langsam bewegte sie ihre Hand über dem Grab. Sie schloss die Augen, als sie spürte, wie der Zauber ins Erdreich eindrang. In unregelmäßigem Rhythmus klopften die magischen Impulse gegen ihre Finger, wenn sie auf die Widerstände von Steinen, kleinen Tieren und Wurzeln traf, und schließlich schlugen sie hart gegen den Sarg.
    Mia zuckte zusammen. Für einen Moment stand sie wieder am Grab ihres Bruders, damals vor etwa einem Jahr, und sah zu, wie der Sarg in die Erde gelassen wurde. Es hatte geregnet an jenem Tag, alles war ihr dumpf und unwirklich erschienen und gleichzeitig mit einer Klarheit, die sie kaum hatte ertragen können. Für einen Augenblick spürte sie wieder den Knoten in ihrem Brustkorb, der sie so lange daran gehindert hatte zu weinen. Langsam stieß sie die Luft aus. Jetzt war nicht die Zeit, um an die Vergangenheit zu denken.
    Konzentriert bewegte sie die Finger und ließ ihren Zauber durch das Holz dringen. Sie spürte, wie er durch den Stoff darunter glitt. Ihre Hand begann zu zittern. Für einen Moment sah sie den toten Körper ihres Bruders vor sich, fühlte fast, wie sie mit den Fingern über sein Gesicht strich, und musste all ihre Kraft aufwenden, um das Bild beiseitezuschieben. Atemlos glitt ihr Zauber tiefer — und stieß hart gegen den Boden des Sargs.
    Mia starrte fassungslos auf Jakobs Büste.
    Der Sarg war leer.

Kapitel
3

    rim überflog eine Häuserzeile im Auteuil-Viertel, zog die Schwingen an den Körper und stob durch das zerbrochene Fenster eines Herrenhauses im dritten Stock. Lautlos landete er in dem festlich erhellten Saal, in dem drei Schattenflügler ihn erwarteten. Walli, der steinerne Bär, Vladik, der Dämonenbezwinger aus Ungarn, und Kronk, mit dem Grim die

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