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Grim - Das Erbe des Lichts

Grim - Das Erbe des Lichts

Titel: Grim - Das Erbe des Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gesa Schwartz
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Decke hingen. Träge und kaum merklich bewegten sie sich im Strom des Windes, der durch die zerbrochenen Fenster stob, und Grim musste die Klaue vor den Mund heben, als der schwere Geruch von Verwesung zu ihm herüberwehte. Es waren die nackten Körper toter Menschen, die wie an den Hälsen aufgehängte Marionetten in langen Reihen die Halle durchzogen. Aus leeren Augenhöhlen starrten sie Grim an.
    Abrupt wandte er den Blick von den Gesichtern der Toten ab. Er hatte oft gesehen, wie der Tod durch Erhängen einen menschlichen Körper verwandelte, und allein die Erinnerung an derlei Bilder ließ Übelkeit in ihm aufsteigen.
    Kronk trat näher an einen der Toten heran und berührte den Leichnam an der Schulter, sodass dieser sich einmal um sich selbst drehte. Remis schluckte hörbar, als der Rücken des Toten vom Flammenschein erhellt wurde, doch Grim achtete nicht darauf. Wortlos betrachtete er die Zeichen, die dem Menschen ins Fleisch geschnitten worden waren und nun seinen gesamten Rücken bedeckten: Es waren Worte in einer Sprache, die Grim unbekannt war, doch er erkannte das Pentagramm im Nacken des Toten als Zeichen dafür, dass es sich bei diesem um ein Menschenopfer handelte.
    »Scheint so, als habe hier eine rituelle Opferung stattgefunden«, flüsterte Walli. »Aber zu welchem Zweck? Und was bedeuten diese Schriftzeichen? Wir .. .«
    Er wurde von einem leisen Wimmern unterbrochen. Grim fuhr herum. Nicht weit von ihm entfernt bewegte sich etwas in den Schatten zwischen den Erhängten, und er erkannte die Umrisse einer zusammengekauerten Frau, die mit mehreren Schnüren an die Wand gefesselt worden war und aus schreckensstarren Augen zu ihm herüberschaute.
    Grim wechselte einen Blick mit den anderen und ging langsam auf die Frau zu. »Keine Angst«, sagte er so behutsam wie möglich. »Wir sind gekommen, um Ihnen zu helfen.« Er ging vor ihr in die Hocke. Ihre Hände waren blutig, aus mehreren Schnitten an den Armen schien ihr über mehrere Tage immer wieder Blut abgenommen worden zu sein. »Gibt es noch andere Überlebende?«
    Kronk trat neben ihn und streckte kaum merklich die Hand aus. Vor langer Zeit hatte er die Kunst des Gedankenlesens ohne körperlichen Kontakt erlernt, eine Fähigkeit, die Grim schon immer an seinem alten Gefährten bewundert hatte.
    »Nein«, erwiderte Kronk anstelle der Frau. Dann wurde seine Stimme zu einem Flüstern. »Aber wir sind nicht allein.«
    Im selben Moment hörte Grim die Schritte und fühlte gleichzeitig die Kälte, die als grauer Nebel über den Boden auf ihn zukroch. Er erhob sich langsam und versuchte, in der Finsternis zwischen den leicht pendelnden Leichen etwas zu erkennen. Ein eisiger Windhauch fuhr ihm ins Gesicht, und da — lautlos wie ein Schatten — trat der Mörder aus der Dunkelheit. Auf den ersten Blick glaubte Grim, einen Menschen vor sich zu haben. Der Fremde sah aus wie ein Mann Mitte dreißig mit muskulösem, ungewöhnlich großen Körperbau. Über seinem nackten Oberkörper lag ein dunkler Mantel. Seine Haut war mit feinen Narben wie von unzähligen Schnitten übersät, die sich zu kryptischen Zeichen vereinten. Er trug eine schwarze, von Menschenblut besudelte Hose und schwere, schmutzverkrustete Stiefel mit silbernen Absätzen. Seine Hände waren weiß, seine Nägel hingegen pechschwarz, ebenso wie die Ringe, die seine Finger schmückten. Ein breiter Lederriemen spannte sich quer über seinem Brustkorb, mehrere Messer steckten darin.
    Grim wollte dem Fremden ins Gesicht schauen, doch für einen Moment sah er dort nichts als einen flirrenden Schatten. Da zog der Fremde eines seiner Messer. Die Klinge begann in rotem Licht zu glühen. Mit beinahe zärtlicher Geste malte er ein fremdartiges Zeichen vor sich in die Luft, das langsam in knisternde Funken zerbrach. Gleichzeitig tauchte ein Gesicht durch den Schatten, ein schneeweißes, ebenmäßiges Gesicht mit einem Mund, der sich zu einem spöttischen Lächeln verzogen hatte. Lange, zu schwarzen Zöpfen geflochtene Haare fielen über seine Schultern und bedeckten nur teilweise die zahlreichen Narben auf seiner Brust. Dem Fremden fehlte das linke Auge. An seiner Stelle saß ein schwarzer Edelstein. Doch Grim sah es erst auf den zweiten Blick. Zu sehr nahm ihn das rechte Auge des Mörders gefangen, ein Auge wie ein gesprungener Diamant, hell und klar und gleichzeitig von einer Tiefe, dass Grim meinte, dem Fremden direkt in sein Innerstes schauen zu können. Doch alles, was er erblickte, war

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