Grim - Das Erbe des Lichts
Finsternis.
Nein,
dachte Grim und konnte nicht verhindern, dass ihm ein Schauer über den Rücken flog. Das war kein Mensch. Das war etwas anderes — etwas, das er noch nie zuvor in seinem Leben gesehen hatte.
Ein Lächeln lag auf den Lippen des Mörders, als er Grim mit seinem Diamantauge betrachtete und langsam seinen Mantel auszog. Remis regte sich nicht. Wie erstarrt saß er auf Grims Schulter, doch sein Körper bebte im Takt seines Herzens, als würde er aus nichts anderem mehr bestehen als aus seinem Pulsschlag. Grim befahl ihm in Gedanken, sich in die hinterste Ecke der Halle zurückzuziehen, doch er spürte kaum, wie der Kobold seine Schulter verließ. Er fixierte den Mörder und entfachte den Zorn hinter seiner Stirn zu wildem Feuer.
»Wer bist du?«, fragte Grim und trat einen Schritt vor. Die Frau hinter ihm rührte sich nicht, aber er hörte ihren Atem stocken wie bei einem verletzten Vogel.
Der Fremde setzte sich in Bewegung, das Messer drehte sich spielerisch um die Finger seiner rechten Hand. Die Schattenflügler gingen in Verteidigungshaltung, doch Grim selbst stand nur da, reglos und abwartend. Dicht vor ihm blieb der Fremde stehen.
»Wer«, flüsterte dieser mit einer Stimme, in der ein seltsamer Singsang mitschwang, ein Ton zwischen Lachen und Schreien, »bist du?«
Grim spürte die Kälte des Fremden. Sie strömte aus dessen Körper wie unsichtbares Gift und legte sich als betäubendes Tuch auf seine Stirn. Der Kerl wollte ihn umbringen, so viel stand fest, und er hielt es noch nicht einmal für nötig, sich dabei die Hände schmutzig zu machen. Aber da hatte er sich den Falschen ausgesucht.
Grim erwiderte den starren Blick, als wollte er dem Mörder das gesunde Auge mit reiner Gedankenkraft aus dem Kopf brennen. Dann holte er Atem, beugte sich vor und flüsterte düster: »Dein Feind.«
Im nächsten Moment schlug Grim seine Faust krachend in das Gesicht seines Gegners. Der Fremde flog zurück, doch anstatt auf dem Rücken zu landen, breitete er die Arme aus, erhob sich in die Luft und blieb ein ganzes Stück weit über dem Boden stehen. Mit einem Brüllen, das in Grims Ohren wie ein grollendes Fluchen klang, spreizte der Fremde die Finger und rief die Schatten, die sich in den Ecken der Halle versammelt hatten. Wie Geisterschwaden aus Finsternis stoben sie in seine Fäuste. Grim hörte, wie Kronk einen mächtigen Eiszauber sprach, und spürte die Flammenpeitschen, die er sich selbst ums Handgelenk wickelte. Lautlos legte er einen Schutzwall aus höherer Magie über seine Gefährten und sich selbst — und sah, wie der Fremde verächtlich lächelte.
Gleich darauf riss dieser die Arme über den Kopf. Die Schatten tobten über seine Finger wie Stürme aus Gift, formten sich zu einer nebelhaften Gestalt, die in ihren Umrissen dem Fremden glich, und ergriffen das Messer aus dessen Hand. Im selben Moment stürzte das Schattenwesen nieder, riss die Faust mit dem Messer in die Luft und stieß die Waffe in den goldenen Schutzwall. Mit einem Zischen zog die Gestalt sich in sich selbst zusammen, fuhr in das Messer und färbte den Wall für einen Augenblick schwarz. Dann zerbrach der Schutzzauber wie eine Kuppel aus dünnem Glas. Grim stockte der Atem. Er hatte den Wall siebenfach gesichert, ihn mit höherer Magie gebildet — wie zum Teufel hatte der Kerl das gemacht?
Doch er kam nicht dazu, dieser Frage nachzugehen, denn gleich darauf stoben schwarze Blitze aus der Faust des Fremden und stürzten sich auf Walli, Kronk und Vladik. Grim sah noch, wie sich die Blitze zu Figuren aus flackerndem Licht formten und seine Gefährten mit Bannschnüren aneinanderfesselten. Dann raste der Fremde durch die Luft auf ihn zu. Im letzten Moment riss Grim einen Schutzzauber über seinen Körper, doch schon hatte sein Gegner ihn erreicht. Krachend schlugen ihre Körper zusammen, Grim hörte die Funken, die durch den Aufprall durch die Luft flogen, während der Fremde ihn an den Schultern packte und mit ihm quer durch die Halle schoss. Ströme aus Kälte jagten durch Grims Adern, er spürte, dass es ein mächtiger Bannzauber war, der ihm auf den Bahnen seiner Venen den Tod in die Glieder schickte, doch er hatte noch nie zuvor in seinem Leben eine ähnliche Magie gespürt wie in diesem Moment. Sie war höherer Magie ebenbürtig, war kalt und mächtig wie die Kraft uralter Wesen, und noch etwas anderes lag in ihr, etwas Nebelhaftes und Zwielichtiges, das Grim nicht deuten konnte. Die Halle verengte sich zu einem
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