Grim - Das Erbe des Lichts
strömten und langsam die Risse auf den Hügeln wieder verschlossen. Bhor Lhelyn sprossen dort, wo Felsen den Boden zerschlagen hatten, und zogen sich als blau glimmendes Geflecht um die scheinbar uralten Stämme der Eichen bis hinauf zu den Mauern Fynturils.
»Die Macht Taras ist erwacht«, flüsterte Theryon, während das Licht des Schlosses als Schattenspiel über sein Gesicht huschte. »Ich sagte es euch bereits: Die Feenhügel Taras waren die größte Siedlung meines Volkes in dieser Welt, und auch wenn unsere Magie verbannt wurde und wir diesen Ort verließen, geisterten unsere Träume stets durch die kristallenen Räume unserer unterirdischen Welt. Die Gedanken und Erinnerungen meines Volkes sind mächtige Energien. Lange haben sie geruht, nicht nur an diesem, sondern an allen Feenorten dieser Welt — fühlbar nur für besondere Anderwesen und einige Menschen. Nicht umsonst wurde dieser Ort als Tanzplatz der Elfen genutzt oder von Menschen aufgesucht im Glauben an spirituelle Geschöpfe. Doch nun wurde die Kraft der Feen erweckt.«
Ein Schatten hatte sich auf sein Gesicht gelegt, und Grim spürte wieder den eisigen Wind, der nach ihm griff. In diesem Moment sah er, wie die Lichter des Himmels sich zu Gestalten formten, die langsam zur Erde niederglitten und vor dem Schloss Aufstellung nahmen. Feen in silbernen Rüstungen waren es — jene Feen, die er in den Gewölben unter dem Blutaltar der Schattenalben erblickt hatte.
Kaum hatte er das gedacht, peitschten geflügelte Panther durch die Luft, getrieben von schattenhaften Reitern. Grim schauderte, als er Alvarhas unter ihnen erkannte und zusehen musste, wie die Alben vor den Mauern des Schlosses landeten. Sie hatten sich also von ihrem goldenen Käfig befreit. Für einen Moment ließ Alvarhas den Blick über die Ebene gleiten, doch ehe er in Grims Richtung schaute, erklang ein Ton wie aus einer silbernen Fanfare, und alle Köpfe wandten sich hinauf zum Schloss.
Ein Balkon prangte an dem größten Turm. Für einen Moment flackerten Lichter darüber hin, als würden sie sich in einem Kristall brechen. Grim musste die Augen zusammenkneifen, so hell flammten die Farben auf, und dann erschien eine Gestalt inmitten des Lichts, eine Gestalt aus Eis und Finsternis.
»Die Königin der Feen«, flüsterte Mia kaum hörbar.
Grim spürte die Schneeflocken, die lautlos auf ihn niederfielen, wie tastende Fingerspitzen auf seinem Gesicht. Dunkel flammte der Blick der Königin zu ihnen herüber, und auch wenn sie ihn nicht sah, spürte Grim dennoch ihre Kälte und Grausamkeit als brennenden Gruß auf seiner Haut.
In unheimlichem Schweigen traten die Feen und Alben näher an das Schloss heran, neigten ehrfurchtsvoll die Köpfe und richteten gleich darauf die Blicke auf die Königin, die hoheitsvoll auf sie hinabschaute. Sie trug einen Mantel mit aufgestelltem, reich bestickten Kragen, der an den Ärmelenden in weichem Fell endete. Ihre Haare waren kunstvoll hochgesteckt, und auf ihrem Kopf schimmerte ihre Krone. Im Licht des Schlosses wirkte sie wie eine Figur aus geglättetem Eis.
»Fh'al Ordym«, rief sie mit dunkler Stimme, und Grim wusste, dass das die Losung der Feen war — eine uralte, fast vergessene Formel aus lang vergangener Zeit. Sie bedeutete:
das Volk der Dämmerung.
Theryon neben ihm sog die Luft ein, und auch Grim spürte den leisen Hauch der Wehmut, den diese Losung in sich trug.
»Dies ist unser Name«, fuhr die Königin fort, und obwohl der Wind zunahm und schneidend kalt wurde, klang ihre Stimme dunkel und voll zu Grim herüber. »So nannte uns die Anderwelt — und die Welt der Menschen, ehe wir sie verlassen mussten. Wir waren Kinder der Dämmerung, mächtig, stolz und wunderschön! Und das sollen wir jetzt wieder werden!«
Eindringlicher Applaus klang über die Ebene, Grim spürte die Anspannung, die durch die Reihen der Feen und Alben ging.
»Die Menschen haben uns vertrieben«, rief die Schneekönigin, und ihre Augen blitzten vor Zorn. »Sie haben diese Welt vergiftet, sie haben uns verfolgt und getötet und alles vergessen, das einst zwischen unseren Völkern bestanden hat! Ja, sie haben uns vergessen — doch damit soll nun Schluss sein! Wir werden die Menschen daran erinnern, wie es war, als sie die Stimmen unserer Banshees fürchteten, als sie Feenlichter in ihre Fenster stellten und in ihren armseligen Träumen auf unseren Festen tanzten! Wir werden sie daran erinnern, dass sie kein Recht haben, Geschöpfe wie uns aus dieser Welt zu
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